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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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seinem Magen versuchte immer wieder, ihm hochzukommen – taumelte er die Treppe hinunter, rang mit der Tür, schaffte es, sie zu schließen und fiel in das Taxi, das am Straßenrand schon auf ihn wartete. Er hoffte, dass ihm keine Alkoholkontrolle bevorstand, wenn er an der Klinik eintraf.
     
    Gegen 1.15 Uhr morgens war Natalie noch immer in ihrem Büro – sie hatte nicht schlafen können, weil sie so viel über Jude und Michail Guskow grübelte – und brütete schläfrig über den Befunden ihres Programms, als eine der Nachtschwestern atemlos hereinstürzte.
    »Sie müssen sofort kommen!«, stieß sie keuchend hervor. »Er sagt etwas!«
    Da es im Moment auf allen Stationen nur einen einzigen wichtigen Patienten gab, war nicht schwer zu erraten, wen sie meinte, doch als sie sein Zimmer erreichten, wusste Natalie noch immer nicht, weshalb es so bemerkenswert war, dass Bobby X etwas sagte.
    Er saß auf dem Bett und sprach:
    »… weil die Räume und die Formen Teil ein und desselben sind. Wie in einem Puzzlespiel. Es gibt keinen Unterschied zwischen Raum und Form, der Leere und der Illusion dichter Materie. Materie selbst ist eine Energieschwingung. Resonanz erzeugt darin Form, Eigenschaft und Gravitation. Materie ist Information.
    Wie der Schatten erst im Licht sichtbar ist, wird die Leere der Energie allein durch Information gefüllt, und alles Leben ist eine Super-Ansammlung von Informationspunkten, eine strahlende Invasion der leeren Welt; seine Stimme und sein Lied …«
    Natalie stand wie vom Donner gerührt in der Tür, während der Sermon in einem leichten, luftigen Ton vorgetragen wurde, der belebt und zugleich eigenartig monoton klang, als wäre Bobby der Lautsprecher eines Automaten oder spräche in fremden Zungen.
    Doch auf den Fleck gebannt war Natalie von dem, was er sagte. Trotz der zahlreichen Ablenkungen der letzten Zeit beschäftigte sich ihr Kopf allein mit den verschachtelten Wirkungsweisen von Selfware und den Hoffnungen, die sie darauf setzte; je länger sie nun Bobby anhörte, desto mehr wuchs in ihr die Überzeugung, dass sie es mit einer Auswirkung von Selfware zu tun hatte.
    Sie fröstelte, als sie der bizarren Litanei lauschte. In ihm sollte keine Selfware mehr aktiv sein. Verdammt, in dem System, das sie bei Bobby eingesetzt hatten, war die Selfware nicht einmal komplett! Er war nie mit dem vollständigen Programm behandelt worden. Davon abgesehen war Bobby völlig normal gewesen, als sie vor Stunden sämtliche Systeme in seinem Kopf gelöscht hatten. Alles war stillgelegt worden.
    Von seinem Heimatdialekt abgesehen, klang Bobby nicht wie er selbst. Die Wörter, die er benutzte, hätte er niemals selbst gewählt, ja, und Natalie hätte ihn nicht annähernd für fähig gehalten, über solche Themen zu sprechen. Was sie hörte, war kein Gefasel, wie man unter dem Einfluss bestimmter Rauschgifte oder einer Überflutung durch Neurotransmittern von sich gab, die durch die Aktivität von NervePath ausgelöst worden war.
    War sie dafür verantwortlich?
    »Was halten Sie davon?«, fragte die Schwester hinter ihr voller Unbehagen über Bobbys anhaltenden Vortrag über Leben und Tod, Raum und Zeit.
    Natalie antwortete nicht. Sie musterte Bobby eingehend.
    Er hatte sich aufgesetzt, die Beine unter der Bettdecke überschlagen und die Arme gehoben wie ein Swami beim Gebet. Auf dem Gesicht leuchtete die Freude über seine glückseligen Erkenntnisse, sein Blick war träumerisch und fern, als schaue er weit über das kleine Zimmer hinaus, über seine prosaischen beigefarbenen Wände und das verblüffte, ebenso prosaische Personal. »Unglaublich« – sein Wort für das, was sie für ihn getan hatten – schoss Natalie durch den Kopf, denn das war es, was sie nun vor sich sah.
    »Fürs Erste wollen wir ihn ruhig stellen. Holen Sie bitte den tragbaren Scanner.«
    Sie musste ein bisschen Zeit schinden, damit sie herausfinden konnte, was hier vor sich ging. Und sie käme wohl nicht darum herum, ihren Vater anzurufen.
    »… das Zeichen und das Symbol sind mehr als das Dargestellte«, offenbarte Bobby soeben. »Durch Symbolisierung wird eine einzelne Bedeutung im Geiste hyperplastisch. Die Grenzen des Verstehens werden durchbrochen. Die Realität, die sie zu enthüllen trachten und die sich hinter der Illusion der Worte verbirgt, wird freigelegt.«
    Natalie nahm von der Schwester eine Beruhigungsspritze entgegen und setzte sie selbst, aber langsam, denn sie wollte hören, was er zu sagen hatte. Es klang

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