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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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kommen. Also ließ ich in der Rue de la Perle
anhalten.
    Wir stiegen aus. Während ich
den Fahrer bezahlte, hörte ich hinter mir die Stimme einer älteren Frau:
    „Sieh an! Guten Abend, mein
Mädchen.“
    Odette war schon ein paar
Schritte vorausgegangen.
    „Guten Abend, Mama“, grüßte sie
zurück.
    Ich drehte mich um und ging auf
Mama zu. Sie sah mir neugierig entgegen. Ich nehme aber an, daß sie alles mit
derselben Neugier ansah, einschließlich der Personen und Sachen, die sie
auswendig kannte. Der Gesichtsausdruck schien ihr angeboren. So was nennt man
im Süden Frankreichs des yeux ravis, ein „hocherfreutes Gesicht“.
    „Meine Mutter, Monsieur Burma“,
sagte Odette ohne rechte Begeisterung.
    Man hätte meinen können, daß
sie mich unter falschem Namen vorstellte.
    Ich lüftete meinen Hut und
verbeugte mich. Madame Jacquier reichte mir die Hand.
    „Sehr erfreut, Madame“, sagte
ich. „Odette hat mir viel von Ihnen erzählt.“
    „Das ist aber nett von ihr“,
flötete sie mit ironischem Unterton. „Und so unerwartet! Ich hab nicht
geglaubt, daß sie sich außer Haus daran erinnert, daß es mich überhaupt gibt...
Kennen Sie sich schon lange?“
    „Ziemlich. Aber noch länger
hatten wir uns aus den Augen verloren. Heute haben wir uns ganz zufällig
getroffen.“
    „Du hast mir nie von Monsieur
erzählt“, sagte sie zu ihrer Tochter, wartete aber keine Antwort ab und wandte
sich wieder mir zu:
    „Monsieur...wie war noch gleich
der Name?“
    „Burma“, sagte ich. „Nestor
Burma.“
    Sie kniff die Lippen zusammen.
Auch sie benutzte keinen kußfesten Lippenstift.
    „Den Namen hab ich schon mal
irgendwo gehört.“
    „Ein Juwelier mit Geschäften
auf den Champs-Elysées und den Grands Boulevards heißt genauso“, half ich ihr
auf die Sprünge.
    „Sind Sie das?“
    „Leider nein!“
    „Heißt der auch Nestor mit
Vornamen?“
    „Ich glaub nicht.“
    Ohne erkennbaren Grund fing sie
an zu lachen. Ziemlich albern.
    „Sie gefallen mir“, sagte sie.
„Ich kenne zwar nicht alle Freunde meiner Tochter... heutzutage vertrauen die
Kinder ihren Eltern nichts mehr an... aber von denen, die ich kenne, sagen Sie
mir am meisten zu...“
    Sie hob seufzend die Schultern:
    „...Na ja, jetzt heiratet sie
bald. Schluß mit den Dummheiten. Sofern Heiraten nicht die größte ist... Wenn
man sieht, was manchmal dabei herauskommt... Oh! Mein Gott!
    Sie tat so, als fiele ihr
plötzlich wieder ein, daß sie Milch auf dem Herd stehen hatte oder so was
Ähnliches. Im Taxi hatte ich Odette noch einmal schwören müssen, ihrer Mutter
nichts von dem Abenteuer bei Cabirol zu erzählen. Meiner Meinung nach war diese
Vorsichtsmaßnahme völlig überflüssig. Sie hätte ihrer Mutter alles erzählen
können, lang, breit, diagonal, von hinten nach vorne. Was durch ein Ohr
reinkam, ging zum andern bestimmt wieder raus, ohne sich lange in der öden
Landschaft ihres Hirns aufzuhalten.
    „...A propos...“
    Sie wandte sich an ihre
Tochter:
    „...Jean hat einen neuen
Pinguin entworfen. Könnte man als Lampe nehmen. Du wirst sehen, sehr hübsch.
Sie sind gerade dabei, die Gußform herzustellen. Deshalb war ich in der
Werkstatt. Aber ich konnte es nicht mehr aushalten. Ich mußte mich bewegen...“
    Das glaubte ich ihr ohne
weiteres. Sie ließ keine unnötige Bewegung aus. Sie zeigte auf einen dunklen
Gang, eine Art Schlauch zwischen zwei Läden. Dort war sie wohl herausgekommen,
als sie uns eben getroffen hatte. Für ihre Tochter war das bestimmt nicht neu.
Sie wußte doch schon eh und je, daß sich in diesem Gebäude die Gießerei befand: Fonderie Ancienne du Marais, Victor
Lachaut. So stand es auf dem Emailschild über dem Eingang.
    „...Jean war es gar nicht
recht, daß er dich nicht gesehen hat“, fuhr Madame Jacquier fort. „Jean ist
mein zukünftiger Schwiegersohn“, vertraute sie mir an. „Monsieur...Monsieur...“
    Sie schnalzte ungeduldig mit
der Zunge. War zwar nicht eben vornehm, drückte aber ganz gut ihre Stimmung
aus.
    „...Offensichtlich werde ich
Ihren Namen nicht behalten. Obwohl er mir so vertraut vorkommt
    „Nestor Burma.“
    Diesmal erreichte das gar nicht
erst ihr Ohr. Sie schien zu überlegen. Ernste Miene.
    „Oh! Stehen wir doch nicht
länger hier rum“, rief sie, wie in einer plötzlichen Laune. „Willst du dir das
neue Modell nicht ansehen, Odette?“
    „Nein“, antwortete ihre blonde
Tochter leise, verlegen. „Ich bin müde.“
    Madame Jacquier war bestimmt
eine nette Frau, nur

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