Marais-Fieber
liebe Gott.
In den Montagausgaben der
Zeitungen stand nichts Interessantes.
Instinktiv suchte ich die
Spalten „Verschiedenes“ für das 3. Arrondissement. Am Dienstag erfuhr ich aus
dem Crépu, daß in der Firma
Mareuil jun. und Co., Scherzartikel aller Art, eingebrochen worden war. Nicht
von besoffenen Stimmungskanonen. Die nächtlichen Besucher hatten es aufs Geld
abgesehen. Mareuil jun. und Co. ließen anscheinend
immer ganz schön viel Kleingeld im Laden liegen. Mareuil! ... Scherzartikel
aller Art! ... Verdammt nochmal! Das war doch der Verlobte von Odette!
Stundenlang hielt ich neben
meinem Telefon Wache. Zwei geistesabwesende Anrufer, die sich verwählt hatten,
holte ich wieder in diese Welt zurück. Dann meldete sich Zavatter. Ziemlich
schüchtern. Er hatte von Badoux’ Unfall erfahren... Ja, ja, nicht wahr, hm? ...
Ich antwortete ebenso tiefsinnig. Seine Treulosigkeit warf ich ihm aber nicht
vor.
Und die Zeit floß dahin.
Mittwochnachmittag. Die wütende
Stimme von Madame Jacquier dröhnte mir ins Ohr. Kein ,Guten Tag’, nichts. Zur
Sache, wie aus der Pistole geschossen!
„Ich will Sie sehen. So schnell
wie möglich.“
„Wo brennt’s denn?“ fragte ich.
„Sie wissen offensichtlich noch
nicht Bescheid...“
Ungläubiges leises Lachen.
Dann:
„...Wenn das natürlich so ist,
brauchen wir nicht unsere Zeit zu vergeuden. Und mein Geld. Hätten Sie die
Güte, mir meinen Scheck zurückzugeben? Maître Dianoux hatte recht. Wir kommen
sehr gut ohne einen Detektiv aus.“
Das konnte ich nicht auf mir
sitzenlassen.
„Ich bin mitten in der Arbeit!“
protestierte ich. „Ich glaube, ich komme besser gleich zu Ihnen.“
„Beeilen Sie sich.“
* * *
In der Rue de Thorigny öffnete
mir eine unauffällige alte Frau mit traurigem Gesicht und vom Gewicht der Jahre
und der Sorgen gebeugten Schultern. Bestimmt die Mutter des Arbeiters, der in
der Gießerei verrückt geworden war. An Verrückten mangelte es nicht in Madame
Jacquiers Umgebung.
Sie selbst stand im dunklen
Flur, zwei Meter hinter ihrem Dienstmädchen, stocksteif wie Justitia,
offensichtlich bereit, mir den Marsch zu blasen.
„Kommen Sie mit“, sagte sie.
Wir gingen in den riesigen
Salon mit den kleinbürgerlichen Möbeln und der großbürgerlichen Decke. Diesmal
stand keine Flasche für meinen Empfang bereit. Madame Jacquier bot mir nicht
mal einen Platz an. Sie setzte sich auch nicht; ging im Zimmer umher, als
wollte sie einen Rekord im Rundlauf aufstellen.
„Ich werd noch verrückt“,
stöhnte sie.
Das bestätigte meinen Eindruck,
was ich aber nicht laut sagte.
„Ist Odette nicht da?“ fragte
ich stattdessen.
Sie fauchte:
„Lassen Sie Odette in Ruhe!
Halten Sie mich eigentlich für bescheuert?“
Ich deutete eine Geste
höflichen Protests an.
„Es geht um Monsieur Mareuil“,
fuhr sie fort.
„Ah ja. Hab gehört, man hat bei
ihm eingebrochen. Sie...“
„Kümmert mich einen Dreck, was
da los war. Er hat mit meiner Tochter Schluß gemacht.“
„Schluß gemacht?“
„Erstaunt Sie das?“
„Tja...“
„Ich bin gedankenlos und blöd.
Man hat es mir schon oft gesagt. Aber manchmal hab auch sogar ich lichte
Momente. Hab mich von Ihren schönen Worten einwickeln lassen. Sie waren mir
sympathisch. So kann man sich manchmal täuschen.“
Sie legte so richtig los. Mir
wurde gehörig der Kopf gewaschen. Der Grund allen Übels war nämlich ich. Weil
ich Odettes Liebhaber war, oder wollte ich das abstreiten, hm? Mareuil hatte
uns zusammen überrascht. Das konnte er sich nicht bieten lassen...
„...Und ich mir auch nicht“,
schrie Madame Jacquier. „Geht mir genauso“, schnauzte ich zurück. So langsam
schoß ich mich auf den Umgangston ein. Da ihr das die Sprache verschlug, setzte
ich noch hinzu:
„Hören Sie, ich werd Ihnen
keine hieb- und stichfesten Alibis liefern...“
„Oh! Verschonen Sie mich mit
Ihren Fachausdrücken...“
„Nein! Paßt zu meiner
Situation. Es gibt nur einen Weg, meine Unschuld zu beweisen: Stellen Sie mich
Monsieur Mareuil gegenüber.“
„Sie scheinen sich ja sehr
sicher zu sein“, sagte sie nach einer Schweigeminute, die sie zum Nachdenken
genutzt hatte. Oder zu dem Versuch.
„Mit gutem Grund.“
„Ich kann mich zu solch einem
Schritt nicht entschließen. Das ist mir äußerst peinlich. Nach dem, was
geschehen ist... Und ob Sie nun der Schuldige sind oder ein anderer... die
eigentlich Schuldige ist meine Tochter. Vielleicht hätte ich ihr nicht so große
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