Marco Polo der Besessene 2
auch täten, ihr und Arùn jedoch gestatten, die kleinen Liebesglöckchen zuvor in sich hineinzustecken? Nun, was sollte ich dagegen haben, und so war ich, ehe die Nacht zuende ging, von den mata ling nicht nur angetan, sondern regelrecht begeistert - wie Hui-sheng und Arùn übrigens auch. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle den Vorhang vor unserem Intimleben wieder fallen lassen. Ich möchte nur noch erwähnen, daß ich die Liebesglöckchen für eine so lohnende Erfindung betrachtete - worin Hui-sheng und Arùn mir recht gaben -, daß ich daran dachte, sie zu jenem »ganz besonderen Geschenk« zu machen, das ich Kubilai mitbringen wollte nach Khanba-lik. Dennoch zögerte ich, mich endgültig dafür zu entscheiden. Man kann sich kaum dem Khan Aller Khane nähern, dem mächtigsten Herrscher der ganzen Welt, der ein würdiger älterer Herr ist, und ihm dann vorschlagen, sich eine »Verbesserung« seines ehrenwerten Organs gefallen zu lassen…
Nein, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie ich ihm diese mata ling zum Geschenk machen sollte, ohne daß das als Kränkung oder Beleidigung aufgefaßt werden könnte, die möglicherweise sogar wütende Vergeltung zur Folge hatte. Doch gleich am folgenden Tag fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich einen anderen Einfall hatte, einen äußerst reizvollen sogar, und diesen bemühte ich mich denn, augenblicklich in die Tat umzusetzen. Etwas Einmaliges bedeutet, daß es etwas nur einmal gibt; infolgedessen kann etwas nicht »einmaliger« sein als etwas anderes. Wenn die durian-Frucht auf ihre Weise einzigartig ist und ein weißer Elefant desgleichen, so galt das auch für die mata ling-Liebesglöckchen; mein neuer Einfall jedoch war einmalig unter Einmaligkeiten.
Wer mich auf die Idee brachte, war der alte Palast-pongyi. Wieder machten Hui-sheng und Yissun und ich einen Spaziergang durch Pagan, und er erging sich in weitschweifigen Erläuterungen zu den Sehenswürdigkeiten, die er uns zeigte. An diesem Tage führte er uns zum größten, heiligsten und höchstangesehenen p'hra von ganz Ava. Hierbei handelte es sich nicht einfach um einen Tempel, der aussah wie eine umgestülpte Handglocke, sondern um ein wirklich gewaltiges, schönes und überaus prächtiges Bauwerk, blendend weiß wie ein Haus ganz aus Schaum, falls es möglich ist, sich einen Schaumberg vorzustellen, so hoch wie die Basilika von San Marco, reich beschnitzt und mit goldenem Dach versehen. Der Tempel hieß Ananda, ein Wort, das »Endlose Glückseligkeit« bedeutet; gleichzeitig habe aber auch ein Jünger des Buddha so geheißen. Ja, sagte der pongyi, Ananda sei Buddhas Lieblingsjünger gewesen wie der heilige Johannes der von Jesus.
»Und dies war das Reliquiar von Buddhas Zahn«, sagte der pongyi, als wir an einem goldenen, auf elfenbeinernem Ständer ruhenden Kästchen vorüberkamen. »Und das hier ist eine Statue der tanzenden Gottheit Nataraji. Sie war ursprünglich von solcher Vollkommenheit, daß die Statue anfing zu tanzen, und wenn ein Gott tanzt, erzittert die Erde. Unsere Stadt wurde fast zum Einsturz gebracht, bis dem tanzenden Bildnis bei seinen Kapriolen ein Finger abbrach, woraufhin wieder Ruhe einkehrte und die tanzende Gottheit wieder zur Statue wurde und zu sonst nichts. Daher wird bis auf den heutigen Tag an jedem religiösen Bildnis mit Absicht ein kleiner Fehler angebracht. Dieser kann so alltäglich sein, daß man ihn nie bemerkt -aber er ist vorhanden, -einfach, um ganz sicherzugehen, daß nichts passiert.«
»Verzeiht, ehrwürdiger pongyi«, sagte ich. »Aber habt Ihr nicht eben beim Vorübergehen gesagt, dieses Kästchen dort drüben enthalte den Zahn des Buddha?«
»Das tat es bis vor kurzem«, sagte er traurig.
»Einen echten Zahn? Von Buddha selbst? Einen Zahn, der sich über siebenhundert Jahre gehalten hat?«
»Ja«, sagte er und klappte das Kästchen auf, um uns das samtüberzogene Kissen zu zeigen, auf dem die Reliquie gelegen hatte. »Ein pongyi auf Pilgerschaft brachte ihn vor zweihundert Jahren von der Insel Srihalam herüber und übergab ihn als Schenkung an diesen Ananda-Tempel. Es war unsere kostbarste Reliquie.«
Hui-sheng bekundete Verwunderung über die Größe der von dem Zahn in das Kissen gedrückten Delle und gab mir zu verstehen, der Zahn müsse ja Buddhas ganzen Kopf eingenommen haben. Diese wenig ehrerbietige Bemerkung gab ich über Yissun an den pongyi weiter.
»Amè! Ja, ein gewaltiger Zahn«, sagte der alte Herr. »Warum nicht? Buddha war auch ein
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