Marissa Blumenthal 02 - Trauma
sollen«, beklagte sich Marissa.
»Können wir jetzt mit den Kerlen sprechen, die wir abgeholt haben?« fragte Tristan.
»Ich frage mal den Kapitän«, sagte Bentley und begab sich wieder zum Achterdeck.
»Tut mir leid, meine Liebe«, sagte Tristan. »Ich habe nicht geahnt, daß die Sache die ganze Nacht dauern würde.«
Marissa zuckte die Achseln. »Es hätte schlimmer kommen können.«
Bentley kam bald zurück. »Der Kapitän sagt, Sie können jetzt mit ihnen reden, soviel Sie wollen, aber nicht so laut.«
Die Mannschaft reffte die Segel. Marissa, Tristan und Bentley gingen ins Vorschiff und setzten sich den beiden Flüchtlingen aus der Volksrepublik China gegenüber.
»Zuerst wollen wir uns miteinander bekannt machen«, sagte Tristan zu Bentley.
Als Bentley anfing zu sprechen, betrachtete Marissa die beiden Männer näher. Sie waren schwer einzuschätzen, aber sie nahm an, daß sie etwa in ihrem Alter waren. Beide hatten kurzgeschorene Haare. Es war ihnen deutlich anzusehen, daß sie nervös und gereizt waren. In dem schwachen Licht huschten ihre Blicke von einem zum anderen.
Bentley zeigte auf den schlankeren Mann. »Das ist Chiang Lam.« Der verbeugte sich, als Bentley seinen Namen nannte. »Und das ist Tse Wah.«
Nach der Vorstellung sagte Tristan zu Bentley, sie wollten wissen, wo die Männer herkämen und womit sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Außerdem sollte Bentley sie fragen, warum man sie aus der Volksrepublik China herausschmuggelte.
Während Bentley mit den Chinesen sprach, verständigten sich Marissa und Tristan über die weiteren Fragen, die sie ihnen stellen wollten. Im Hintergrund bereitete die Besatzung eine späte Mahlzeit zu und legte Bambusmatten für die Nacht aus.
Inzwischen hatte Bentley das Gespräch mit den Männern beendet und berichtete nun Marissa und Tristan, daß beide aus Kleinstädten in der Provinz Guangdong kämen. Chiang Lam war Mönch eines Buddhistenordens, dem es gelungen war, die kommunistische Ära zu überstehen. Tse Wah war Landarzt, eine zeitgenössische Ausgabe des »Barfußdoktors« der Kulturrevolution. Bentley berichtete weiter, sie hätten die Volksrepublik China verlassen, weil man ihnen eine Menge Geld versprochen habe. Beide hätten die feste Absicht, später zurückzukehren. Doch wüßten sie nicht, warum man ihnen diese Gelegenheit geboten habe.
»Wie ging es denn zu, als man sie auswählte?« fragte Marissa.
Bentley fragte die Männer danach und sagte dann: »Chiang sagt, er ist wegen seiner Kenntnisse in den Kampfsportarten ausgewählt worden. In seinem Kloster haben sie deshalb Wettkämpfe ausgetragen, sagt er. Tse sagt, er ist ausgewählt worden, weil er Arzt ist. Er sagt, bei ihm hat es keinen Wettbewerb gegeben. Die Leute kamen einfach zu ihm und machten ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Tse hat Familie, Frau und ein Kind, dazu Eltern und Schwiegereltern.«
Marissa sah Tristan an. »Ich habe das Gefühl, der Arzt ist die Schlüsselfigur«, sagte sie. Tristan nickte.
»Fragen Sie den Arzt, ob er etwas von der Behandlungsweise bei Unfruchtbarkeit versteht!« sagte Tristan. »Vor allem über die Technik der künstlichen Befruchtung in der Retorte.«
Tse überraschte alle, indem er plötzlich erklärte: »Ich kann etwas englisch. Chiang nicht, nur ich. Ich habe jahrelang englisch aus medizinischen Lehrbüchern in Guangzhou gelernt, wo ich meine Ausbildung erhalten habe.«
»Das ist ein Lichtblick«, sagte Tristan. »Es hört sich an, als hätten Sie viel gelernt.«
»Danke«, sagte Tse. »Leider kann ich englisch besser lesen als sprechen.«
»Verstehen Sie, was mit dem Ausdruck IVF gemeint ist?« fragte Tristan.
»Ja«, sagte Tse. »Aber ich weiß sehr wenig darüber. Nur was in den Büchern stand, die ich gelesen habe.«
»Interessieren Sie sich für künstliche Befruchtung?« fragte Marissa. Trotz seiner nervösen Anspannung mußte Tse lachen. »Das hätte mir wenig Nutzen gebracht. In China gibt es zu viele Menschen und zu viele Babys.«
»Und wie ist es mit Tuberkulose?« fragte Marissa. »Ist sie ein Problem in der Volksrepublik? Haben Sie viele Tbc-Fälle behandelt?«
»In letzter Zeit nicht«, sagte Tse. »China hat im ganzen Land Impfungen mit BCG durchgeführt. Vor 1949 war die Tuberkulose noch weitverbreitet, vor allem hier in Südchina. Aber seit den BCGImpfungen nicht mehr.«
»Und wie steht es mit Heroin?« fragte Tristan.
»Wir haben kein Heroin«, sagte Tse. »Ein Rauschgiftproblem gibt es in
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