Marsha Mellow
die mal kurz unerkannt bei Tesco Babyfeuchttücher kaufen möchte. Aber trotzdem hat Julie mich aus mehreren Metern Entfernung erkannt.
»Ich wusste gar nicht, dass du mit dieser Linie fährst«, sage ich zu Julie, während die Bahn am Finsbury Park hält. Sie setzt sich auf den freien Platz neben mir, wobei mir erst jetzt auffällt, dass ihre Reisetasche von Louis Vuitton ist, passend zu ihrer geöffneten Handtasche auf dem Schoß, genau wie die Geldbörse, das Schminktäschchen und der Schlüsselanhänger darin. Ein bisschen viel Louis für meinen Geschmack.
»Ich fahre jetzt immer mit dieser Linie. Ich bin nämlich am Wochenende nach Arnos Grove umgezogen.«
»Ich dachte, du hasst den Norden von London.«
»Tu ich auch«, entgegnet sie mit süffisantem Grinsen, »aber nicht mehr, seit ich Alan kenne. Wir sind zusammengezogen.«
»Moment mal«, unterbreche ich irritiert, »ihr kennt euch doch erst seit Dienstag. Und so richtig zusammen seid ihr doch erst seit... wann war das noch mal?«
»Donnerstag.«
»Genau, und am Freitagmorgen warst du der festen Überzeugung, dass er nichts mehr von dir will.«
»Das war ein Irrtum«, rechtfertigt sie sich. »Er ist vor seinen Gefühlen davongerannt. Er ist nämlich sehr sensibel... für einen Fußballer.«
»Mich überrascht bloß, dass du nicht direkt aufs Ganze gegangen bist. Du weißt schon, eine Verlob...«
Im Nu hält sie mir einen riesigen funkelnden Diamanten unter die Nase, groß genug, um als Schlagring jeden potenziellen Langfinger abzuschrecken.
»Keine Sorge. Wir wollen nichts überstürzen«, versichert sie mir. »Alan ist nämlich der Meinung, dass er sich zuerst einen Stammplatz in der Mannschaft sichern muss. Die Boulevardblätter berichten nicht über die Hochzeit, wenn er nicht in der ersten Mannschaft spielt.« Während sie mich über Alans Karrierepläne informiert, geht mir plötzlich ein Licht auf, was es mit der ganzen Louis-Vuitton-Ausstattung auf sich hat. Typisch Spielerfrau eben ...
Kaum habe ich an meinem Schreibtisch Platz genommen, klingelt das Telefon. Mary. Hundert Pro. Nachdem ich das ganze Wochenende erfolgreich vermieden habe, mit ihr zu sprechen, ist damit jetzt wohl Ende.
»Ist es nicht fabelhaft, Schätzchen?«, schwärmt sie direkt los. »Am liebsten würde ich den Herausgeber der Mail zu einem heißen Rendezvous einladen und seinen süßen Hintern mit Küssen bedecken.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«
»Weil er, mein Engel, uns einen unglaublichen Gefallen erwiesen hat. Er hat uns den so genannten Mike-Read-Effekt beschert.«
»Den was?«
»Das war glücklicherweise vor deiner Zeit. Mike Read war damals, als ich noch die Hitparade gehört habe, irgend so ein blöder DJ, der hin und wieder im Fernsehen mit seinen Auftritten genervt hat. Einmal hat er im Radio das Stück von einem merkwürdigen Haufen Tunten verrissen. Dummerweise hielt das besagte Lied einen ganzen Sommer lang Platz eins der Charts. Relax, don‘t do it, when you wanna such it to it «, singt sie plötzlich mit rauer Stimme.
»Und was hat das mit mir zu tun?«
»Muss ich denn noch deutlicher werden? An deiner Stelle würde ich mich ernsthaft nach einer Steueroase wie den Cayman Inseln umsehen. Du musst deine Trilliarden in Sicherheit bringen, wenn die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen. Aber sprechen wir über die dringenderen Angelegenheiten. Hast du es denn schon deiner bezaubernden Mutter gesagt?«
»Äh, beinahe«, sage ich, da ich endlich einmal zu Wort komme.
»Beinahe reicht aber nicht, Schätzchen, zumal ich finde, sie sollte endlich wissen, womit ihre Tochter ihren Lebensunterhalt verdient, bevor besagte Tochter ihren zweiten Roman beginnt.«
»Aber. Scheiße. Was?«, stammle ich völlig zusammenhanglos.
»Mir war klar, dass du so reagierst, aber hör mir erst einmal zu. Falls dein unfähiger Verleger auch nur einen Funken Verstand besitzt, wird er dir umgehend, nachdem er die zweite Auflage in Auftrag gegeben hat, ein Angebot für das nächste Buch machen. Was mich betrifft, wäre es höchst fahrlässig, wenn ich dir nicht dazu raten würde, deine Fantasie anzustrengen und dir eine Fortsetzung auszudenken. Es steht mir zwar nicht zu, dir auf deine kreativen Finger zu klopfen, aber ich halte eine Fortsetzung für angebracht. Der Schluss von Ringe I schreit förmlich danach. Ich kann mir sogar gut vorstellen, dass das kleine Luder zu einer Art Hardcore-Harry-Potter aufsteigt. Hör mal, du hast bestimmt zu tun. Wir reden ein anderes
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