Marsha Mellow
ihren Wagen, und als sie davonfährt, überkommt mich eine weitaus größere Panik als vorhin bei ihrem Anblick. Was zum Teufel hat sie in meiner Wohnung gemacht? Ich schaue zu meinem Fenster hoch. Es brennt Licht. Vermutlich ist Ant da. Was war da oben los? Ich will lieber nicht darüber nachdenken, also lasse ich es. Stattdessen setze ich zum zweiten qualvollen Sprint an diesem Tag an.
Ich stürze in mein Wohnzimmer, wo Ant auf dem Sofa sitzt. Es ist schlimmer, als ich befürchtet habe. Sein Gesicht ist kalkweiß, seine Hände zittern und seine Kinnlade hängt so weit herunter, dass man meinen könnte, sein Kiefer sei ausgerenkt.
»Was ist passiert, Ant? Was hat sie dir angetan? Sie weiß nichts von ...«
»Stimmt, sie weiß nichts ... Aber dafür habe ich weitaus mehr über sie erfahren, als ich jemals für möglich gehalten hätte.«
»Wovon redest du?«
»Ich habe soeben meine erste richtige Beichte abgehalten.«
»Wie bitte?«
»Sie hat mir ihre Sünden gebeichtet... Und ich habe ihr die Absolution erteilt.«
»Aber du bist doch gar kein Priester.«
»Das kann sie ja nicht wissen, oder?«
»Und sie ist nicht einmal katholisch. Sie hasst die Katholiken.«
»Sie war total aufgelöst, als sie hier ankam. Offenbar brauchte sie dringend jemanden zum Reden, und ...«
»Du hast ihr die Beichte abgenommen? Wie konntest du? Dazu bist du gar nicht berechtigt.«
»Es war ihre Idee. Ich hatte kaum eine andere Wahl. Überhaupt, wer hat sich denn den Quatsch mit dem Priester ausgedacht? Wäre es dir denn lieber gewesen, ich hätte gesagt ›Tut mir Leid, Mrs. Bickerstaff, aber ich bin nicht wirklich ein Diener Gottes. Das hat sich Ihre Tochter bloß ausgedacht, um die Tatsache zu verschleiern, dass ich nach New York ausgewandert bin, um rund um die Uhr mit anderen Jungs zu vögeln‹?«
Ich gebe mich geschlagen. Ich weiß nämlich, wie ... äh ... überzeugend meine Mutter sein kann, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, und ich kann mir vorstellen, dass sie Ant förmlich in die Enge getrieben hat. »Mir ist völlig schleierhaft, wie zur Hölle du das hingekriegt hast«, sage ich. »Ich meine, wann hast du denn das letzte Mal einen Gottesdienst besucht?«
»Mit fünfzehn. Das war tatsächlich nicht einfach. Mir fiel partout nicht ein, wie der in nomine Patri-Absatz lautet - ich glaube, ich habe sie im Namen von Claudius gesegnet.«
»Und was hat sie dir gebeichtet?«
»Das darf ich dir nicht sagen«, entgegnet er entrüstet. »Das ist streng vertraulich. Allein Gott ist Zeuge dessen, was zwischen der Sünderin, die Absolution sucht, und ihrem Beichtvater gesprochen wird.«
Ich fange an zu lachen. Er bleibt jedoch ernst.
»Ant, du bist kein Priester. Du hast kein Gelübde abgelegt. Was hat sie dir erzählt?«
»Das kann ich nicht sagen. Damit würde ich ihr Vertrauen missbrauchen.«
»Sei nicht albern. Sag es mir einfach.«
»Amy, du könntest dieses Wissen unmöglich vor ihr verbergen, und sie würde dahinter kommen, dass du das alles von mir hast. Dann können wir uns aber alle warm anziehen.«
»Herrgott, was hat sie denn angestellt? Hat sie heimlich ein paar Süßigkeiten eingesteckt? Einen Mord begangen?«
»Schlimmer als das Erste ... nicht ganz so schlimm wie das Zweite.«
»Sag es mir doch bitte endlich.«
»Ich kann nicht, Amy.«
Ich stehe kurz davor zu explodieren, als er meint: »Wie auch immer, jedenfalls ist deine Mutter schließlich nicht die Einzige, die etwas zu beichten hat, meinst du nicht auch?«
»Wovon redest du?«
»Wo warst du heute Abend?«
»Arbeiten«, sage ich hastig.
»Wirklich?«
»Ich musste Überstunden machen. Das ist keine Todsünde, oder?«
»Das nicht, aber wenn du deinen besten Freund anlügst, dann schon. Du hast übrigens eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Er hat gerade in dem Moment angerufen, als deine Mutter vor der Tür stand, deswegen bin ich nicht drangegangen. Amy, was soll das, dass du wieder Kontakt zu ihm hast? Hast du momentan nicht schon genug Probleme am Hals?«
Ich gebe keine Antwort und drücke die Wiedergabetaste, um die Nachricht abzuhören.
»Amy... äh ... Ich habe mich wirklich so sehr auf unser Treffen heute Abend gefreut, und dann vermassele ich es. Was soll ich sagen? Ich stand irgendwie neben mir... und ... es tut mir Leid ...«
Was? Es tut ihm Leid? Dieser Mann verfügt über einen immensen Wortschatz, und trotzdem habe ich diese Worte nie aus seinem Mund vernommen - nicht einmal gemurmelt im Schlaf.
»Ich möchte
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