Maskerade in Rampstade (German Edition)
uns geherrscht hatte, nicht wieder einstellen. Wie befreiend wäre es gewesen, wenn wir gemeinsam über unser Streitgespräch in der Halle hätten lachen können. Doch wir konnten es nicht. Es war, als sei von unsichtbarer Hand eine gläserne Mauer zwischen uns errichtet worden, mit George und Hetty auf der einen und mir auf der anderen Seite. Nachdem wir uns also ausgiebig entschuldigt hatten, lag ein angespanntes Schweigen über dem Frühstückstisch. Nur Hettys nervöses Kichern durchbrach von Zeit zu Zeit die Stille. Und fast hätte ich wieder die Beherrschung verloren und hätte Hetty angebrüllt, das alberne Verhalten aufzugeben. Mit Mühe nahm ich mich zusammen und zog mich, mich entschuldigend, zurück. An diesem Vormittag gab es keinen gemeinsamen Ausritt, wie er uns schon zur Gewohnheit geworden war. Die Geschwister ließen sich ihre Pferde satteln, ohne mich zu fragen, ob ich mitkommen wollte. So beschloß ich, die letzten wärmenden Sonnenstrahlen zu nützen, und mich auf die kleine Bank im Garten zurückzuziehen und etwas zu lesen. Ich hatte mir vor meiner Abreise in Winchester den letzten Roman von Miss Austen besorgt. Bis jetzt hatte ich noch keine freie Minute gehabt, um darin zu schmökern.
Als es Zeit für den Lunch war, ging ich ins Haus zurück und erfuhr, daß Hetty und George noch nicht von ihrem Ausritt zurückgekommen waren. Und ich erfuhr auch, daß mich Ihre Gnaden um ein Uhr zu sprechen wünschte. Ich nahm also einen kleinen Imbiß in ungewohnter Stille ein, da Miss Heather, wie ich nicht ohne erfreutes Aufseufzen feststellte, ihr Mittagessen im Zimmer ihrer Cousine aß. Ich fragte mich, was meine Gastgeberin wohl mit mir besprechen wollte. Würde sie mich dafür tadeln, daß ich am Vortag, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, fortgeritten war?
Durch einen offenen Spalt in der Zimmertür hörte ich, daß die schwere Eingangstür geöffnet wurde. George und Hetty waren von ihrem Ausritt zurückgekommen.
»Bringe mir frisches Wasser hinauf«, hörte ich Georges Stimme, die einem Diener Anweisungen gab. »Und serviere meiner Schwester und mir auch den Lunch nach oben.«
Daraufhin waren eilige Schritte in Richtung Treppe zu vernehmen. Sie waren also noch so böse auf mich, daß sie nicht einmal mehr mit mir essen wollten. Nun, auch gut. Lange würde ich ohnehin nicht mehr auf Rampstade bleiben. Ich faltete die Serviette zusammen. Dann machte ich mich auf den Weg zu den Gemächern der Herzogin, die im rechten Flügel des Palastes lagen. Meine Schritte hallten durch den breiten, hohen Gang. Vor einem der schmalen Fenster blieb ich stehen und genoß den Blick über die weitreichenden Ländereien. Hier im Osten grenzten sie direkt an die Besitzungen des Earls of Cristlemaine. Irgendwo dort, etwa dreißig Minuten schnellen Ritts entfernt, lag auf einer kleinen Lichtung das Häuschen. Ob sich Jojo wohl gerade dort aufhielt? Ich sah ihn im Geiste an dem rohen Holztisch sitzen, ein Glas Wein in der Hand … und er dachte an mich. Wenn es nur wirklich so wäre!
»Ach, da bist du ja schon, meine Liebe. Da wird sich Cousine Agathe freuen. Sie schätzt Pünktlichkeit sehr, mußt du wissen.«
Miss Heather kam eifrig näher. »Komm mit mir, mein Kind, ich werde dich gleich zu ihr bringen.«
Ich lächelte dankbar. Alleine hätte ich nicht gewußt, an welche der hohen, weißen Flügeltüren, die von diesem Flur abgingen, ich hätte klopfen müssen. Miss Heather klopfte an eine der Türen, trat jedoch nicht ein, sondern blieb mit geneigtem Kopf lauschend davor stehen. Kein Laut war zu vernehmen.
»Vielleicht ist Agathe eingeschlafen.« Sie legte ihren Zeigefinger an die Lippen und bedeutete mir, mich ganz still zu verhalten. Dann drückte sie die Klinke hinunter und huschte ins Zimmer. In ihrem breiten Himmelbett lag, zurückgelehnt in einen großen Berg bestickter Kissen, die Herzogin. Sie hatte die Augen geschlossen und schien eingschlummert zu sein.
Doch so, als spürte sie instinktiv, daß sie nicht mehr allein im Zimmer war, setzte sie sich mit einem Ruck im Bett auf. Miss Heather hatte den Raum bereits wieder verlassen wollen und auch mich in den Gang zurückgedrängt.
»So laß sie doch hier«, ertönte die gebieterische Stimme vom Bett her. »Du weißt doch, daß ich Sophia sprechen möchte. Allein allerdings«, fügte sie hinzu, als Miss Heather Anstalten machte zu bleiben. Die so des Zimmers Verwiesene setzte ein beleidigtes Gesicht auf, verließ uns jedoch, ohne ein Wort des Protestes zu
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