Mayra und der Prinz von Terrestra (German Edition)
niedrig. Obwohl Mayra nicht groß war, musste sie sich bücken. Hinter der Tür ging es zwei Holzstufen hinunter auf den Boden. Mayra war noch nie in einem Gebäude gewesen, das halb eingegraben war. Aber wenn sie die Holzbretter betrachtete, die die Wände bildeten, Holzbretter, zwischen deren Ritzen Moos gestopft war und die trotzdem an mehr als einer Stelle das Tageslicht durchscheinen ließen, erschien es sinnvoll, Erde als natürliche Isolierung zu nutzen. Während Mayra sich von der für sie seltsamen Konstruktion der Unterkunft gefangen nehmen ließ, waren Myrddin und Soris schon weiter gegangen.
Es gab nur einen Raum in der Hütte. In der Mitte qualmte ein Feuer, dessen Rauch nur ungenügend durch die kleine Öffnung im Dach abzog. Links und rechts befanden sich zwei Bettgestelle mit klumpigen Matratzen und rauen Wolldecken. Auf dem rechten der Betten lag ein Junge von etwa acht Jahren, der sie mit großen, angstvollen Augen anblickte. Am Kopfende des Bettes stand seine Mutter. Sie war offensichtlich hochschwanger. Um sie herum standen mit großen Augen ihre vier anderen Kinder, ein Mädchen und drei Jungen, alle noch sehr klein, im Alter von etwa zwei bis fünf Jahren. Mädchen wie Jungen waren in leicht gräuliche Kittel gekleidet, vielfach geflickt, aber sauber.
Myrddin setzte sich neben dem Jungen aufs Bett und fragte: „Wie geht es dir heute, Tammo?“ Der Junge sagte nichts und sah den Arzt nur angstvoll an. „Keine Sorge, ich tue dir nicht weh.“ Myrddins Stimme war ruhig. Aber er als er anfing, das kranke Kind zu untersuchen, fing Tammo trotzdem an zu weinen. Mayra hatte den Eindruck, dass der Junge vom Fieber völlig erschöpft war. Instinktiv kniete sie sich neben seinen Kopf, legte ihren Arm um ihn und fing leise an, ein Kinderlied zu singen. Das hatte ihre Mutter immer gesungen, wenn sie sich als kleines Kind nicht wohlfühlte. Ohne dass sie hätte sagen können, warum, stellte Mayra sich, während sie weiter sang, vor, dass ein goldenes Licht von ihr ausging und dass das goldene Licht langsam den ganzen Körper des Jungen ausfüllte und die schwarzen Stellen, die Mayra anfangs noch bei Tammo wahrnahm, bei ihm langsam verschwanden. Tammo hörte auf zu weinen. Mayra spürte, wie er sich entspannte, wie seine Atmung und sein Herzschlag ruhiger gingen.
Myrddin beendete seine Untersuchung und versicherte der Köhlersfamilie, Tammos Erkrankung werde vorübergehen. Soris und seine Frau Loru waren darüber sehr erleichtert und bedankten sich. Der alte Heiler ließ ihnen einen Tee da, der das Fieber senken sollte, und ermahnte sie, Tammo leichte Kost zu geben, am besten eine salzige Brühe. Als Dank für seine Hilfe bekam Myrddin zwei Säcke voll Holzkohle. Mayra bestand darauf, dass sie einen davon zurück zur Höhle trug. Auf dem Weg dahin fragte sie Myrddin nach den Bestandteilen des Tees für Tammo. Myrddin gab ihr genau darüber Auskunft, welche Pflanzen und Wurzeln er für die Mischung nutzte und wie sie gewonnen wurden.
Dann lachte er in sich hinein. „Der Tee ist natürlich hilfreich, Mayra. Aber was Tammo viel mehr geholfen hat als alle Tees, die ich ihm hätte da lassen können, war, was du gemacht hast.“
„Was meinst du damit?“ Mayra war verwirrt. Gütig schaute Myrddin sie an. „Als Arzt kann man gar nicht so viel machen . Letztlich besteht jede Heilkunst darin, dem Kranken zu helfen, wieder selbst ins Gleichgewicht zu kommen, wieder gesund zu werden. Man kann es von außen anstoßen, dass jemand wieder in Ordnung kommt, indem man einen Tee gibt. Oder einen Arm schient, der gebrochen ist. Aber das sind alles nur Hilfsmittel. Du hast heute den Kleinen mit deiner eigenen inneren Stille wieder in Harmonie gebracht. Du hast deine Liebe überfließen lassen, und Tammo konnte sich daran neu ausrichten Richtung Gesundheit. Das hat wirklich geholfen!“ Mayra sagte nichts, und der Alte schien auch keine Antwort zu erwarten. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass Myrddin mitbekommen hatte, was sie gemacht hatte. Noch weniger hätte sie gedacht, dass sie es auch noch richtig gemacht hatte!
Auf dem Rückweg brauchten sie länger als auf dem Hinweg. Das lag weniger daran, dass Mayra nicht daran gewöhnt war, schwere Säcke zu schleppen, als dass Myrddin sich die Zeit nahm, ihr die Pflanzenwelt Terrestras zu erklären. Immer wieder blieb er stehen, zeigte ihr eine Blüte, ein Blatt oder grub eine Wurzel aus. Ein bisschen zu spät – erst nach der Hälfte des Weges – dachte Mayra
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