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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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Nichts in ihrem straffen Tagesablauf, nicht einmal Stationsschwester Drummond, konnte sie davor schützen.
    N ach ihrem Kakao, also in jener halben Stunde, ehe das Licht gelöscht wurde, besuchten sich die Mädchen gegenseitig auf ihren Zimmern, saßen auf den Betten und schrieben Briefe nach Hause oder an ihren Liebsten. Manche weinten auch ein wenig vor lauter Heimweh, so daß um diese Zeit stets reichlich getröstet, hier und da ein Arm um die Schulter gelegt und ein beschwichtigendes Wort gesprochen wurde. Für Briony war das nur Theater; sie fand es einfach lächerlich, daß sich junge, erwachsene Frauen tränenreich nach ihren Müttern sehnten oder, wie eine der Lernschwestern unter Schluchzen gestand, nach dem Geruch von Daddys Pfeife. Diejenigen, die trösteten, schienen ihr außerdem allzu verliebt in diese Rolle zu sein. In einer derart überhitzten Atmosphäre schrieb Briony gelegentlich ihre eigenen knappen Briefe nach Hause, in denen kaum mehr stand, als daß sie weder krank noch unglücklich sei, kein Geld brauche und ihre Meinung keineswegs ändern werde, wie ihre Mutter es ihr vorhergesagt hatte. Manche Mädchen schrieben stolz von der zermürbenden Arbeit und dem aufreibenden Studium, um ihre liebenden Eltern in Erstaunen zu versetzen, doch Briony vertraute diese Dinge nur ihrem Tagebuch an, und auch dies nicht besonders ausführlich. Sie wollte nicht, daß ihre Mutter erfuhr, welch niedrige Arbeiten sie verrichtete. Schließlich würde sie nicht zuletzt deshalb Krankenschwester werden, um später einmal unabhängiger zu sein, weshalb es ihr wichtig war, daß ihre Eltern, vor allem aber ihre Mutter, so wenig wie irgend möglich über ihr jetziges Leben wußten.
Bis auf eine Reihe stets aufs neue wiederholter Fragen, die unbeantwortet blieben, handelten Emilys Briefe meist von den Landverschickungen. Drei Mütter mit sieben Kindern, alle aus dem Londoner Bezirk Hackney, waren ins Haus der Familie Tallis einquartiert worden. Eine der Frauen hatte sich im Dorfpub danebenbenommen und daraufhin Lokalverbot erhalten, eine andere war eine fromme Katholikin, die jeden Sonntag mit ihren drei Kindern sechs Kilometer weit in die nächste Stadt ging, um die Messe zu besuchen. Doch Betty, selbst Katholikin, machte keine Unterschiede. Sie haßte alle Mütter und ihre Kinder gleichermaßen. Schon am ersten Morgen war ihr gesagt worden, daß das Essen nicht schmecke. Sie behauptete sogar, gesehen zu haben, wie die Kirchgängerin in der Eingangshalle auf den Boden spuckte. Das älteste der Kinder, ein Junge von dreizehn Jahren, der aber kaum älter als ein Achtjähriger aussah, war in den Brunnen gestiegen, auf die Statue geklettert und hatte Tritons Schneckenhorn und den Arm kurz unterm Ellbogen abgebrochen. Jack behauptete, das ließe sich wieder richten, doch war das Bruchstück, das man ins Haus getragen und in der Waschküche aufbewahrt hatte, inzwischen verschwunden. Ein Hinweis vom alten Hardman brachte Betty dazu, dem Jungen vorzuwerfen, er habe das Stück in den See geworfen. Der Junge aber behauptete, nichts zu wissen. Es wurde sogar überlegt, das Wasser aus dem See abzulassen, doch sorgte man sich um das brütende Schwanenpaar. Die Mutter hatte sich heftig für ihren Jungen eingesetzt und gesagt, ein Brunnen sei gefährlich, wenn sich Kinder im Haus befänden, und daß sie an ihren Parlamentsabgeordneten schreiben wolle. Sir Arthur Ridley war Brionys Taufpate.
Trotzdem fand Emily, daß sie sich glücklich schätzen sollten, Landverschickte im Haus zu haben, da es eine Zeitlang so ausgesehen hatte, als ob die Armee das ganze Haus requirieren wollte. Es wurde dann allerdings mit Hugh van Vliets Anwesen vorliebgenommen, da es dort einen Billardtisch gab. Zu den übrigen Neuigkeiten zählte auch, daß Emilys Schwester Hermione immer noch in Paris weilte, aber daran dachte, nach Nizza umzuziehen, außerdem hatte man die Kühe auf die drei Weiden an der Nordseite getrieben, damit man den Park umpflügen und Korn ansäen konnte. Zweieinhalb Kilometer Eisenzaun aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte man entfernt, um ihn einzuschmelzen und Spitfires daraus zu bauen. Selbst die Handwerker, die den Zaun abtrugen, hatten gesagt, daß es das falsche Metall dafür sei. Aus Stein und Zement war unten am Fluß, gleich in der Biegung und mitten im Riedgras, ein Bunker errichtet worden, und dabei hatte man die Nester der Kricketenten und der grauen Bachstelze zerstört. Ein zweiter Bunker wurde dort errichtet, wo

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