Meade Glenn
Gefühle aufwallen.
»Wie geht es meinem kleinen Mädchen?« Er lächelte.
Das Mädchen erwiderte schüchtern das Lächeln. Das lange braune Haar fiel ihr über die Schultern, als sie auf den Koffer herabsah. Ihr Gesicht war plötzlich voll Angst.
»Gehst du weg, Rudi?«
Hernandez schüttelte den Kopf. »Nein, Graciella«, beruhigte er sie und fügte drängend hinzu: »Aber ich muß mich bis morgen bei dir verstecken.«
Sie fragte nicht warum, sondern nickte nur, zog ihn herein und schloß die Tür. Dann nahm sie Hernandez bei der Hand und führte ihn in ein kleines Zimmer, das links vom Flur abging. An der Wand, deren Putz abblätterte, stand ein einzelnes, uraltes Holzbett. Darüber flackerte eine kleine rote Kerze unter dem Bild der Heiligen Jungfrau. Der Raum war spärlich möbliert, aber makellos sauber.
»Schläfst du heute hier, Rudi?« Das Mädchen sah ihn erwartungsvoll an. Ihr Körper war voll entwickelt und hätte sicher jeden Mann gereizt, aber Hernandez schüttelte den Kopf.
»Ich schlafe auf dem Küchenboden, Graciella.« Er lächelte sie liebevoll an und nahm ihr Gesicht in die Hände. »Und jetzt sei ein liebes Mädchen und mache mir etwas mate. Wirst du das für Rudi tun?«
Das Mädchen nickte und erwiderte sein Lächeln. Als er ihr Gesicht losließ, nahm sie schweigend seine Hand und führte ihn in die Küche.
Franz Lieber brauchte fünf Minuten, um die nötigen Telefonate zu erledigen. Als er damit fertig war, seufzte er und blickte nachdenklich auf das türkise Wasser im Swimmingpool. Die eisige, grüne Ruhe, die es ausstrahlte, seine Oberfläche, die so glatt wirkte wie eine Glasplatte … Ein gewaltiger Kontrast zu der glühenden Wut, die in Lieber kochte – Wut, die von Angst noch angestachelt wurde.
Himmel …
Ausgerechnet wenn alles glatt lief, wenn alle Rädchen ineinander griffen, mußte so ein neugieriger Mistkerl daherkommen und alles durcheinanderbringen. Wenn sie ihn fanden, war der Mann tot. Ganz gleich, wer er war, dessen war Lieber sicher. Und in der ganzen Stadt gab es kein einziges Versteck für ihn.
Aber wie hatte er nur von dem Treffen erfahren? Lieber ließ seinen Cocktail unberührt und dachte angestrengt nach. Er suchte nach Schwachstellen, nach Mängeln in der Abschirmung.
Aber es gab keine, nicht in Südamerika und erst recht nicht in Paraguay. Nicht hier, auf seinem Territorium. Die einzigen, die etwas von dem Treffen gewußt hatten, waren Leute von ganz oben. An ihrer Vertrauenswürdigkeit bestand für Lieber kein Zweifel. Wer also?
Er seufzte. Die Konsequenzen eines möglichen Scheiterns waren zu schrecklich, um überhaupt darüber nachzudenken.
Jahre der Planung wären dahin, Millionen verschwendet.
Millionen! Lieber verzog das Gesicht. Er hatte sehr viel in dieses Projekt investiert, sowohl Zeit als auch Geld, und jetzt stand alles auf dem Spiel.
Der Spion mußte einfach gefunden werden, koste es, was es wolle. Er hatte die entsprechende Leute angerufen, und die Suche war bereits angelaufen. Wenigstens vierzig Männer durchkämmten die Stadt, beobachteten den Flughafen, überwachten den Bahnhof und die Busbahnhöfe und kontrollierten die Hauptstraßen, die aus der Stadt herausführten.
Lieber konnte nur hoffen, daß der Unbekannte keinen zu großen Vorsprung hatte. Die Beschreibung, die Krüger ihm am Telefon durchgegeben hatte, war ziemlich ungenau gewesen. Groß, jung, etwa dreißig, dunkelhaarig, eine auffällige Narbe auf der rechten Wange … Aber der Wagen des Mannes, ein großer, uralter amerikanischer Buick, das war etwas, das war ein Hinweis. Von denen gab es nur sehr wenige in Asunción.
Lieber stemmte sich wütend aus dem Stuhl hoch und sah, daß sein Hemd schweißnaß war. Der Mercedes würde bald hier sein.
Er mußte die Mädchen loswerden.
»Noberto!«
Der Diener, ein Mestize, erschien einen Augenblick später und näherte sich Lieber im Eiltempo.
» Sí, Señor? «
Lieber deutete auf das Haus. »Nimm einen Wagen aus der Garage und setze die Mädchen bei Rosa ab.« Lieber zog seine Brieftasche heraus und reichte dem Diener ein Bündel Banknoten. »Hier, gib ihnen das und sag ihnen, daß ich sie heute abend nicht mehr benötige.«
» Sí, Señor. «Der Diener strahlte, stolz über diese kleine Aufgabe.
»Aber sofort. Und beeil dich!«
Der Diener lief auf die Verandatür zu und ging hinein. Lieber beobachtete, wie er die Mädchen durch den Seiteneingang hinausscheuchte, und hörte Minuten später, wie der Wagen wegfuhr. Er nahm
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