Meagan McKinney
unglaubliche Kraft gesehen. Und nun sah er Caitlin mit einem respektvollen
Blick an, den sie bei ihm noch nie entdeckt hatte.
»Ihre
Kutsche wartet, Mrs. Sheridan«, sagte Whittacker, der in den Salon trat, und
riß sie damit aus ihren Gedanken.
Alana stand
auf. Sie hatte bereits ihr dunkelblaues Reisekleid
an, das sie immer trug, wenn sie nach Brooklyn fuhr. Sie hatte sich so in Maras
und Eagans Probleme verwickeln lassen, daß sie ihre eigenen vergessen
hatte. »Danke, Whittaker«, sagte sie. Dann fiel ihr noch etwas ein, und obwohl
sie daran zweifelte, daß es irgend jemand zur Kenntnis nehmen würde, am
wenigsten der Herr des Hauses, der sie seit dem Cotillon buchstäblich
ignorierte, setzte sie hinzu: »Wenn jemand fragt, ich bin zum Abendessen
zurück.«
»Sehr wohl,
Madam.« Whittaker hielt ihr die Tür auf und folgte ihr durch das marmorne Foyer
vorbei an der Armor-Staue, die ihren Pfeil eingelegt hatte, und half ihr in die
Kutsche. Dann kehrte er ins Haus zurück, durchquerte dasselbe Foyer und
passierte denselben Amor, bis er an der Tür der Bibliothek hielt.
»Sie trägt
ihr blaues Kleid, Sir, ganz sicher will sie nach Brooklyn. Ich habe mir die
Freiheit genommen, Ihnen eine Kutsche bereitzuhalten.«
Mit
grimmiger Miene griff Trevor nach seinem Stock und machte sich auf nach
Brooklyn.
»Es geht
ihr nicht besonders gut, Mrs. Sheridan. Ich möchte Sie dringend bitten, nach
Manhattan zurückzukehren. Wir schicken Ihnen eine Nachricht, wenn sie wieder
Besuch empfangen kann.« Schwester Steines Mund war nur noch ein schmaler
Strich in ihrem unattraktiven Gesicht.
»Was ist
passiert?« fragte Alana und umklammerte ängstlich ihre kleine Börse.
»Sie hat
sich auf die irrige Meinung versteift, sie wüßte nun, was in jener Nacht
geschehen ist, in der Ihre Eltern umkamen. Sie mußte beruhigt werden, und wir
haben ihr Morphium gegeben. Eine schlechte Zeit für einen Besuch!«
»Ich muß
sie sehen! Sie braucht mich!« Alana schrie fast, außer sich bei dem Gedanken,
was für eine Hölle Christabel durchmachen mußte. »Wo ist sie?«
»Mrs.
Sheridan, bitte beruhigen Sie sich. Denken Sie' bitte vernünftig nach«, befahl
die Schwester.
Alana
konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. »Glaubt sie denn, sie hätte
sie tatsächlich umgebracht? Wollen Sie deswegen nicht, daß ich zu ihr gehe?«
»Schlimmer
als das. Sie deliriert! Wenn Sie dort hineingehen, könnte sie Sie beschuldigen!
Also schlage ich vor, Sie kehren zurück und ersparen sich und ihr diese
schreckliche Erfahrung.«
»Nein«,
sagte Alana wie betäubt. »Ich will sie sehen. Sie braucht mich.«
»Wir müssen
erst die Zustimmung des Doktors einholen. Und er ist jetzt nicht hier.
Vielleicht kommt er erst heute abend wieder.«
»Dann warte
ich.« Alana zog ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und tupfte sich die Augen. Ihr Kinn schob sich trotzig vor.
Schwester
Steine sah sie sichtlich mißbilligend an. »Nun gut...«
Ein Schrei
schnitt den Rest ihres Satzes ab. Entsetzt fuhr Alana herum. Am Ende des
Flures war das Oberlicht einer Tür geöffnet, und sie konnte hören, daß eine
Frau mit jemandem kämpfte. »Das ist meine Schwester«, fauchte Alana. »Zur Hölle
mit dem Doktor! Ich will zu ihr.«
»Das geht
nicht!« rief Schwester Steine hinter ihr her, doch Alana rannte bereits
den Flur hinunter und stieß die Tür auf.
Was sie
dort sah, jagte ihr einen tödlichen Schrekken ein. Christabel war nur noch ein
Schatten ihrer selbst. Sie war abgemagert, und ihre Augen blickten wild und
halb wahnsinnig umher. Sie wehrte sich heftig gegen die zwei Wärterinnen in
Uniform, die sie auf dem Bett niederzuhalten versuchten. Eine benutzte Spritze
auf dem Nachttisch daneben zeigte, daß man sie gerade betäubt hatte.
Das
Morphium zeigte bereits Wirkung. Christals Widerstand ging bald in Apathie
über. Die Wärterinnen legten ihr wieder Gurte um Arme und Beine. Schließlich
lag Christal nur noch mit dumpfen, matten Augen da, die einst so voller Leben
und Freude gesprüht hatten.
»O Gott!«
preßte Alana heraus und trat an das Bett. Sie streichelte Christals blondes,
stumpfes Haar und weinte hemmungslos.
»Wie Sie
sehen, hilft es ihr nicht«, bemerkte die Schwester.
»Warum tun
Sie das?« fragte Alana plötzlich zornig. »So eine Behandlung hatte Christal
noch nie nötig.«
»Ich hatte
Sie gewarnt, daß es eines Tages geschehen würde, wenn sie sich jemals erinnern
würde.«
»Aber das
hat sie nicht. Sie haben mir eben gesagt, sie
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