Medicus 03 - Die Erben des Medicus
dachte häufig und zu unpassenden Gelegenheiten an ihn - an seinen Mund, seine Stimme, seine Augen, an die Form seines Kopfes, seine Körperhaltung. Sie versuchte, ihre Reaktionen wissenschaftlich zu analysieren, und sie redete sich ein, es sei alles nur Biochemie: Wenn sie ihn sah, seine Stimme hörte oder seine Anwesenheit spürte, schüttete ihr Hirn Phenyläthylamin aus, das ihren Körper erregte. Wenn er sie streichelte, sie küßte, wenn sie Sex miteinander hatten, machte das Hormon Oxytozin die Liebe noch süßer. Tagsüber vertrieb sie ihn gnadenlos aus ihren Gedanken, damit sie als Ärztin funktionieren konnte. Doch wenn sie dann Zeit zum Zusammensein fanden, konnten sie die Hände nicht voneinander lassen.
Für David war es eine schwierige Zeit, eine entscheidende Zeit. Er hatte die Hälfte seines Manuskripts und ein Expose der gesamten Geschichte an einen Verlag geschickt, und Ende Juli wurde er nach New York gerufen, wohin er am heißesten Tag dieses Sommers mit dem Zug fuhr.
Mit einem Vertrag kehrte er zurück. Der Vorschuß würde sein Leben nicht verändern zwanzigtausend Dollar, das Übliche für einen Erstlingsroman, in dem es nicht um Mord und einen attraktiven Detektiv ging. Aber es war ein Sieg, und dazu kam noch der persönliche Triumph, daß er sich von seinem Lektor zum Essen, nicht aber zu Wein hatte einladen lassen. Um den Erfolg zu feiern, lud R.J. ihn zu einem schicken Essen in das Deerfield Inn ein und begleitete ihn anschließend zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker in Greenfield. Beim Essen hatte er ihr gestanden, daß er große Zweifel habe, ob er das Buch beenden könne. Während des AA-Treffens fiel ihr auf, daß er nicht den Mut hatte, sich als Schriftsteller vorzustellen.
»Ich bin David Markus«, sagte er. »Ich bin Alkoholiker, und ich verkaufe in Woodfield Immobilien.«
Als sie am Ende des Abends zu seinem Haus zurückkehrten, setzten sie sich im Dunkeln auf die zerschlissene Couch, die neben den Honiggläsern auf der Veranda stand. Sie unterhielten sich leise und genossen die kühle Brise, die gelegentlich vom Wald her über die Weide wehte.
Während sie so dasaßen, bog ein Auto von der Straße in die Zufahrt ein, und die gelben Strahlen der Scheinwerfer warfen die Schatten der Glyzinienreben, die die Veranda umrankten, wie ein Netz auf Davids Gesicht.
»Das ist Sarah«, sagte er. »Sie war mit Bobby Henderson im Kino.«
Aus dem näher kommenden Auto war Gesang zu hören. Sarah und der junge Henderson versuchten sich an Clementine .
Ihre Stimmen klangen dünn und ziemlich falsch, aber offensichtlich amüsierten sie sich.
David lachte kurz auf.
»Pscht!« machte R.J. leise. Das Auto blieb wenige Meter vor der Veranda stehen, und nur das Dickicht der Glyzinienreben trennte seine Insassen von dem Paar auf der Veranda.
Sarah begann mit dem nächsten Lied, »Der Diakon ging in den Keller zum Beten«, und der Junge stimmte mit ein. Danach herrschte Schweigen. Wahrscheinlich küßt Bobby Henderson Sarah jetzt, dachte R.J. Sie hätten sich bemerkbar machen müssen, das wurde ihr jetzt klar, doch es war schon zu spät. Sie und David saßen in der Dunkelheit, hielten Händchen wie ein altes Ehepaar und lächelten sich verschwörerisch an.
Dann stimmte Bobby ein Lied an: »Das Dingsbums-Ding ist klein und drall...«
»Oh, Bobby, du bist ein Schwein«, rief Sarah, kicherte aber dabei, und als er fortfuhr, sang sie die zweite Stimme.
»... und hat ganz viele Haare ...« ( »ganz furchtbar viele Haare ...« )
»... wie ein Muschikätzchen ...« ( »... ein Muschikätzchen...« )
David ließ R.J.s Hand los.
»... ja, furchtbar viele Haare ...« ( »... krause schwarze Haare...« )
»... und es hat einen Spalt...« ( »... ja, so'nen Spalt...« )
»... Na, was ist das...?« ( »... Was ist denn das...?« )
»... Das ist Sarahs Dingsbums-Ding!« ( »... Das ist mein Dingsbums-Düüüng!« )
»Sarah«, sagte David sehr laut.
»O Gott«, rief Sarah.
»Geh ins Haus!«
Kurz war hektisches Flüstern zu hören, dann ein Kichern. Die Autotür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen. Sarah rannte die Eingangsstufen hoch und wortlos an ihnen vorbei, während Bobby Henderson im Hof wendete, noch einmal am Haus vorbeifuhr und dann Richtung Straße davonbrauste.
»Komm, ich fahr dich nach Hause! Sarah knöpfe ich mir dann später vor.«
»David, immer mit der Ruhe! Sie hat ja keinen Mord begangen.«
»Wo hat sie nur ihre Selbstachtung gelassen?«
»Also, das war doch
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