Meeres-Braut
einen Menschen darstellte, zu Zielübungen verwendete. Merkwürdig war daran nur, daß der Drache immer sein Ziel verfehlte. Da erkannte Ida, daß er in Wirklichkeit versuchte, möglichst nahe an das Ziel heranzukommen, ohne es tatsächlich zu treffen. Andere Dämonen maßen Wege aus und machten sie offensichtlich so schmal wie möglich, aber immer noch breit genug, um von Menschen benutzt zu werden. Wiederum andere gruben Löcher in den Boden und fertigten raffinierte Abdeckungen dafür, so daß sie wie sichere Wege aussahen, die in Wirklichkeit unter dem Gewicht unachtsamer Reisender einbrechen und sie in die Tiefe stürzen lassen würde.
»Das sieht mir aus wie eine Alptraumfabrik!« murmelte Gnade. »Ich frage mich, ob sie hier einen Konkurrenzbetrieb zum Kürbisreich aufmachen.«
»Wozu das denn?« fragte Ida.
Die Dämonin wirkte etwas verblüfft. »Das könnte unterhaltsam sein«, meinte sie nach einer kurzen Pause.
»Das bezweifle ich«, erwiderte Ida.
»Soviel zu dieser Idee«, meinte Gnade.
Ida hatte ein Gefühl des Déjà vu, doch erstens fiel ihr dieser Begriff nicht ein, und zweitens hätte sie ohnehin nicht gewußt, was er bedeutete, so daß sie es fahrenlassen mußte.
Elster führte sie zu einer wunderschönen jungen Frau in einem Schlangenkleid. Die Frau stand gerade vor einem Dämon in mundanischem Kostüm und las in einem Skript. »Nein, das werde ich nicht tun«, sagte sie mit einem Blick auf eine blaue Linie, die vor ihr auf den Boden gemalt war.
»Aber wie sollen wir denn sonst über den Fluß kommen?« fragte der Dämon und las ebenfalls von seinem eigenen Skript ab. Er klang sehr unüberzeugend.
»Wir müssen eine andere Möglichkeit finden. Eine Prinzessin entkleidet sich nicht vor Fremden.«
»Nein, nein!« mischte sich eine imposante Gestalt von einem Dämon ein. Er hatte knorrige Hörner und einen weitschweifigen Schwanz, dazu Fangzähne, die seinen Mund verzerrten. »Gib ihm keine Informationen freiwillig! Laß ihn darum bitten.«
»Aber hier steht doch…« protestierte die Frau.
»Jetzt nicht mehr, Nada«, antwortete der alte Dämon.
Nada warf einen Blick auf ihr Skript. Anscheinend hatte es sich verändert.
Sie versuchten es erneut. »Wir müssen einen anderen Weg finden«, sagte Nada.
»Aber weshalb?« fragte der mundanische Dämon, und es gelang ihm, ebenso unüberzeugend zu klingen wie vorher.
»Weil eine Prinzessin sich nicht vor Fremden entkleidet«, las Nada ab.
»Ich bin doch gar kein Fremder!« las der mundanische Dämon. »Wir kennen uns doch jetzt schon einige Stunden.«
»Ach so. Na ja, in diesem Fall…«
»Cut!« brüllte der alte Dämon mit den Fangzähnen. »Keine Improvisationen! Hast du denn nur Brei statt Gehirn im Kopf? Halte dich gefälligst an das Skript!«
»Aber Professor, im Skript wird doch gar nicht alles abgedeckt. Was ist, wenn er versucht, mich zu küssen?«
Der mundanische Dämon trat vor und legte die Arme um sie, nur zu begierig, diese Szene zu spielen.
»Dann verwandelst du dich in eine Schlange und gleitest davon«, erwiderte der Professor.
Der mundanische Dämon versuchte sie zu küssen. Sie wurde zu einer Schlange und begann davonzugleiten. »Nein, wirst du nicht!« sagte er und packte sie am Hals. Sie sperrte das Maul auf und wollte ihn beißen.
»Cut!« rief der Professor. »Du darfst den Mundanier nicht beißen. Es ist dir nicht erlaubt, ihm weh zu tun. Du sollst ihm eigentlich helfen.«
»Aber Mundanier sind doch unberechenbar«, versetzte Nada. »Wie kann ich vorher sehen, was er alles anstellen könnte, wenn ich ihm nicht ein paar Manieren beibringe?«
»Das tun wir ja gerade: alle Varianten durchgehen, damit es keine Überraschungen gibt. Und nun noch einmal von vorn. Ihr kommt um die Biegung und erblickt den Fluß, der euch den Weg zum Ziel versperrt.«
»Ach, ist das alles kompliziert!« rief Nada und warf dabei die Hände hoch.
Der mundanische Dämon griff nach ihr und begann, ihr Kleid hochzuziehen. »Iiiieeehh!« kreischte sie.
»Na ja, das könnte er doch wohl versuchen«, meinte der mundanische Dämon.
»Dann wollen wir dem Skript noch eine weitere Möglichkeit hinzufügen«, sagte sie wütend. »Nämlich einen Schlag auf die Schnauze.«
»Eine Schlange kann gar nicht schlagen«, versetzte der mundanische Dämon selbstzufrieden. »Sie hat nämlich keine Fäuste.«
»Und wenn ich ihm statt dessen das Gesicht abbeiße?« wollte sie wissen, nachdem sie einen Schlangenkopf mit riesigem Maul ausgebildet
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