Meeres-Braut
seinem Inneren. Sie hatten die erste Herausforderung bestanden.
Doch da kam auch schon gleich die nächste. Ein furchtbarer Drachen stürmte am äußeren Grabenrand auf sie zu.
»Iiiieeehh!« kreischte Ida. »Was ist denn das für ein Drachen?«
Okra musterte das Ungeheuer. Sie hatte gelegentlich schon Drachen gesehen, wenn die männlichen Oger sich mit ihnen prügelten, so daß sie die Grundtypen kannte. Es gab Flug-, Boden- oder Wasserdrachen, Feuer-, Rauch- oder Dampfdrachen in allen Kombinationen. Dieser Drache hier flammte, rauchte und dampfte nicht, so daß es sich vielleicht um einen der seltenen »atemlosen« Drachen handelte, die auch sehr gefährlich waren. Er bewegte sich am Boden und besaß keine Flügel, so daß er ein Erddrache sein mußte. Und doch war an ihm irgend etwas Merkwürdiges. Seine Rückenschuppen lagen nicht flach an, einige von ihnen staken in Reihen empor.
»Das ist ein sehr merkwürdiges Exemplar«, meinte sie. »Aber es hat doch Zähne, deshalb müssen wir ihm aus dem Weg gehen.«
»Aber wir können den Weg nicht zurückgehen, den wir gekommen sind«, wandte Mela ein. »Der Wind würde uns davonwehen, es sei denn, wir lassen weiterhin die Trommelpuppen spielen, aber dann würde uns wahrscheinlich der Drachen wegschnappen.«
»Und ins Schloß kommen wir auch nicht, weil die Zugbrücke hochgezogen ist«, ergänzte Okra.
»Dann sollten wir lieber laufen«, empfahl Ida. »Denn das Ding kommt langsam furchtbar nahe.«
Verfolgt von dem Drachen, rannten sie um den Graben. Aber das Ungeheuer holte auf. »Sollen wir in den Wind laufen oder ins Wasser gehen?« fragte Okra. Sie selbst hatte ein ganz gutes Tempo drauf, aber die anderen schnauften bereits. Das lag daran, daß es keine Oger waren.
»Ins Wasser!« keuchte Mela.
Also vollzogen sie einen Schwenk und sprangen in den Graben. Dort verfingen sie sich in Grabentang, und Mela landete auf einem dicken Tentakel des Zeugs. »Igitt!« rief sie. »Ich hatte ja ganz vergessen, daß das Süßwasser ist!« Sie klatschte mit der Hand nach dem Tentakel, worauf es wieder im schlammigen Wasser absank. »In diesem Zeug kann ich meinen Schwanz nicht herstellen.«
Ida ging es nicht besser. Ihre Kleidung war nun von nassem Tang übersät, und ihr Haar war grün von Grabenschleim. »Igitt«, wiederholte sie.
Doch Okra war bei der Sache. »Der Drachen kommt uns immer noch nach!«
»Wir müssen hinüberschwimmen«, entschied Mela. »Wahrscheinlich kann er selbst nicht schwimmen.«
Sie versuchten es, doch im Graben herrschte eine starke Strömung, die sie wieder ans Außenufer trieb. Schlimmer noch, nun folgte der Drachen ihnen ins Wasser – und schwebte darin! Seine aufgestellten Schuppen bildeten einen Damm gegen das Wasser, so daß sein Leib sich fast wie ein Boot verhielt. Er kam besser im Wasser zurecht als sie.
Der Drachen kam herangeschwommen. Sein zahniger Kopf näherte sich. Gleich würde er sie alle auffressen!
»Vielleicht können wir es ihm ausreden, uns zu verspeisen«, meinte Okra, allerdings ohne allzugroße Hoffnung dabei zu zeigen.
»Großartige Idee!« bestätigte Ida. »Vielleicht funktioniert es.«
Mela richtete sich auf und wandte sich dem Ungeheuer zu. Der Blick des Wesens bohrte sich in sie. In seinem Auge spiegelte sich Plaid wider. »Hör mal, Drache, ich denke, wir sollten uns einander vorstellen. Wer bist du und was ist dein Begehr?«
»Ich bin der Drache Dola«, erwiderte er. »Ich werde euch in meinen Bauch befördern.«
»Wir sind aber alle nicht besonders schmackhaft«, wandte Mela ein. »Ich bin Mela Meerfrau und schmecke ziemlich fischig. Das hier ist Okra, die schmeckt, wie eine Ogerin eben so schmeckt. Und das ist Ida, deren nasse Kleider dir nur zwischen den Zähnen hängen bleiben würden.«
Irgend etwas an dem Drachen erinnerte Okra an etwas anderes: sein Namen, seine Art zu schwimmen. »Dein Name… der bedeutet doch irgend etwas. Irgend etwas Treibendes…«
»Ich bin sicher, es wird euch in meinem Bauch gut gefallen«, fuhr der Drachen fort und sperrte dabei das Maul auf.
Dann fiel es Ida ein. »Du bist gar kein Drache… du bist eine Gondel! Eine Art von Boot. Wir haben dich nur falsch verstanden!«
»Dra Gondola, stets zu Diensten«, bestätigte der Drache.
»Dann brauchen wir also nur in deinen Bauch zu steigen, und du bringst uns über den Graben!«
»Ganz genau.«
So stiegen sie über die aufgerichteten Schuppen ins Innere des Boots. Dann reckte Dra den Kopf, paddelte mit den Füßen und
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