Meeres-Braut
sonst nichts. Weitere hören nur, was ihm gesagt wird. Gichtigs Ohr war themenbegrenzt: Es konnte alles hören, was im Koboldberg über ein bestimmtes Thema gesagt wurde.«
»Welches Thema denn?« wollte Gwenny wissen.
»Was immer der Hörende hören wollte. Ich glaube, daß Gichtig es dazu verwendete, um Verschwörungen gegen sich zu belauschen. Erst heute verstehe ich, wie er solche Verschwörungen immer aufzudecken vermochte, obwohl er nie besonders intelligent wirkte. Natürlich habe ich ihn verabscheut, aber ich habe ihn auch immer unterstützt, weil sich das so gehört. Durch das Ohr wußte er offensichtlich davon. So gewährte er mir mehr Macht, als eine Frau eigentlich bekommt, und unterstützte auch mein Bemühen, einen Gefährten für meine Tochter zu finden, weil er wußte, daß ich ihm nichts Böses wollte. Und außerdem verschaffte ihm das mehr Zeit, in meiner Abwesenheit mit anderen Frauen herumzuspielen.« Sie blickte Che wieder an. »Aber der Gefährte war das Wichtigste, was immer es kosten mochte. Du weißt natürlich, wie dieses Unterfangen endete.«
»Ich weiß«, bestätigte Che.
Godiva hielt inne, als wollte sie sich gegen etwas besonders Unangenehmes rüsten. Dann fuhr sie fort. »Gobbel hat dieses Ohr gefunden. Er hatte es nur eine Stunde in seinem Besitz, bis er entdeckt wurde und man es ihm abnahm. Aber in dieser Zeit hat er den Schaden anrichten können, denn er hatte schon immer eine untrügerische Nase für das schlimmste erdenkliche Unheil. Ich glaube, ihr könnt euch wohl denken, auf welches Thema er das Ohr eingestellt hat.«
»Die Erwachsenenverschwörung!« rief Jenny.
»Ganz genau. Nun könnte man vielleicht glauben, daß eine einzige Stunde eigentlich nicht genügt, aber das tut sie nun einmal bei einem Drachenohr. Zwar hat Gobbel offensichtlich nicht die Feinheiten und das Vorgehen im einzelnen in Erfahrung bringen können, aber er hat immerhin die verbotenen Wörter gelernt.« Sie blickte Gwenny an. »Soweit ich unterrichtet bin, bist du inzwischen Mitglied der Verschwörung.«
»Der Gute Magier hat es verlangt«, erläuterte Gwenny. »Wir haben es alle drei erfahren. Tatsächlich hat man uns nicht die verbotenen Wörter beigebracht, sondern nur die… die Grundelemente.«
»Ihr werdet die Wörter sofort erkennen, sobald ihr sie hört. Es sind zwar nur oberflächliche Begriffe, aber für jene, deren Geist auf eine gewisse Weise, sagen wir einmal ausgerichtet ist, sind sie von überragender Bedeutung. Ganz gewiß haben sie Macht, und diese Macht sollte nie mißbraucht werden. Unsere Männer mißbrauchen sie natürlich häufig.«
»Natürlich«, stimmte Gwenny ohne jede Ironie zu.
»Gobbel hat die Wörter in Erfahrung gebracht und droht nun, sie den Kindern im Koboldberg zuzurufen, wie ich bereits erwähnte. Das würde natürlich einen unsäglichen Schaden anrichten und möglicherweise sogar die Stabilität der Erwachsenenverschwörung selbst zunichte machen. So etwas darf nicht geschehen.«
»Das darf es wirklich nicht«, bekräftigte Gwenny. Ihr sonst eher dunkles Antlitz war fahl.
»Wie soll man ihn daran hindern?« wollte Jenny wissen.
»Ich habe einen Plan«, erläuterte Godiva. »Aber ich glaube, daß nur du allein, Gwenny, ihn umsetzen kannst, weil du die einzige bist, die gegenüber Gobbel wenigstens so etwas wie einen Hauch von Autorität besitzt. Du bist rein rechtlich gesehen seine ältere Schwester. Das sieht er zwar nicht so, aber die Männer im Koboldberg werden es schlecht ignorieren können. Es ist mir ein Graus, dir diese schreckliche Pflicht zu übertragen, aber ich sehe keinen anderen Ausweg.«
Che sah, wie Gwenny schwer schluckte, und ihm wurde klar, daß sie sich genauso davor fürchtete. »Ich werde es versuchen, Mutter. Welchen Plan hast du?«
»Du mußt den Zauberstab nehmen, den nur ich und deine Großmutter Goldy zu benutzen verstehen. Ich werde dich in seine Geheimnisse einweihen. Damit wirst du in der Lage sein, jede Person und jedes Ding in der Luft schweben zu lassen und dorthin zu bewegen, wo du es hinhaben willst. Das sollte Gobbel zumindest für eine Weile körperlich hinreichend im Zaum halten.«
»Dann wird er aber immer noch dazu in der Lage sein, die Wörter auszusprechen«, wandte Gwenny ein. »Ich werde ihn damit nicht über lange Strecken daran hindern können, mit den Kindern zu reden. Und wenn erst einmal die Zeit der Häuptlingswahl gekommen ist, werden sämtliche Kobolde des Bergs anwesend sein, auch die Kinder. Dann hat
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