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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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Alt-Dhaka gefunden hatte. Es stand ganz hinten in einer Seitengasse, die zum Fluß hinunterführte, direkt neben einer Lederfabrik. Der Gestank der Gerberei war atemberaubend. Sie hielt sich die Nase zu und klopfte. Aditi kam an die Tür.
    »Ah, die Frau Doktor!« sagte sie. Sie war genau wie bei Saimas Party gekleidet, in Jeans und einer kurzen Kurta, aber sie wirkte anders. Ihre Fingerspitzen waren von Druckerschwärze verschmiert, und um die Stirn hatte sie sich ein grünes Tuch gebunden. »Ich bin so froh, daß Sie sich zu einem Besuch bei uns entschlossen haben. Ich umarme Sie lieber nicht, ich bin dreckig.« Sie winkte Maya herein.
    »Das riecht nach Tod«, sagte Maya.
    Aditi lachte. »Ja, furchtbar, nicht? Aber wir haben uns daran gewöhnt, wir bemerken es nicht mal mehr.«
    Der Raum hatte keine Fenster und war bis unter die Decke mit Zeitungsstapeln vollgestopft. Auf einer Seite stand ein langer Tisch voller Kugelschreiber, Bücher und leerer Teetassen. Ein Mann saß mit dem Rücken zu ihnen über eine Schreibmaschine gebeugt da und zappelte mit den Knien.
    »Aditi, bist du das? Kannst du mir bitte einen Tee besorgen, ich bin gerade dabei, ein Wunder von einem Satz zu produzieren.«
    Aditi räusperte sich. »Wir haben Besuch. Shafaat, bitte benimm dich.«
    Der Mann fuhr herum. »Oh, wie unhöflich von mir, bitte entschuldigen Sie. Guten Tag, ich heiße Shafaat. Shafaat Rahman.«
    »Shafaat ist der Herausgeber.«
    »Herausgeber, Reporter, Manager, Teejunge.«
    »Na, der Teejunge offenbar nicht«, erwiderte Maya.
    »Da haben Sie meine Schwäche sofort durchschaut. Was soll ich sagen, ich kommandiere andere Leute gern herum. Aber keine Sorge, niemand hört auf mich.« Er steckte sich eine Zigarette an, die er auf der Unterlippe hängenließ. »Unsere nächste Ausgabe erscheint in einer Woche. Hier ist ein Probedruck.« Er drückte ihr ein auf billiges Papier gedrucktes Heftchen in die Hand. Sie blätterte die Artikel durch. Es gab einen über den Reichtum des Diktators, einen, der die Korruption in der Armee anprangerte. Es endete mit einer bitterbösen Glosse über die Veränderungen, die an der Verfassung vorgenommen wurden.
    »So etwas dürfen Sie drucken?«
    Der Mann verzog seine dunklen, tabakverfärbten Lippen zu einem Lächeln. »Nein, aber wir tun’s trotzdem.«
    »Wird man Sie nicht verhaften?«
    »Wer wird denn Angst vor ein bißchen Zeit beim Onkel haben?«
    Beim Blättern färbte die Druckerschwärze ab. Maya sah sich um – die Schreibmaschinen, die leeren Teegläser, der mit Papierschnipseln übersäte Fußboden – und verspürte zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr in die Stadt so etwas wie ein Zugehörigkeitsgefühl.
    »Aditi hat mir erzählt, daß Sie weg waren.«
    »Ich habe ein paar Jahre lang in Rajshahi gelebt.«
    »Wirklich? Haben Sie da Verwandte?«
    »Nein, meine Verwandten sind hier.« Sie konnte all ihre Verwandten an einer Hand abzählen.
    »Da sind Sie also mitten aufs platte Land gegangen. Warum?«
    Maya sah Aditi an. »Ich war sozusagen auf dem Kreuzzug gegen Krankheit und Unwissenheit. Ich bin Ärztin.«
    »Aditi hat mir gesagt, Sie wollen schreiben.«
    Das hatte sie Aditi gesagt, als sie angerufen und gefragt hatte, ob sie die Zeitungsredaktion besuchen dürfe. Aber jetzt war sie sich auf einmal nicht mehr so sicher – es war Jahre her, seit siesich zum letzten Mal hingesetzt und etwas geschrieben hatte. »Na ja, ich dachte nur – während des Krieges habe ich ein bißchen was veröffentlicht.«
    »Und haben Sie denn schon ein Thema?« Shafaat zündete sich die nächste Zigarette an und ließ das abgebrannte Streichholz auf den Boden fallen. Ein kleiner Junge mit löchrigem Unterhemd und Lungi kam mit Besen und Schaufel und fing an, den Staub in Richtung der Ecken des Raums zu fegen.
    »Etwas über das Dorfleben, würde ich sagen.«
    »Sie meinen das Gesülze, wie romantisch das Leben auf dem Land ist?«
    »Nein, nein, nichts in der Art. Darüber, wie es wirklich da ist, meine Erinnerungen an die Zeit. Ich war immerhin sieben Jahre da, da habe ich so einiges gesehen.«
    »Na schön, fünfhundert Wörter bis nächste Woche. Mal sehen, was Ihnen einfällt. Aber bitte keinen sentimentalen Kitsch über die herrlichen grünen Täler von Rajshahi, okay?«
    Sie lächelte. »Wird gemacht.«
    »Und Ihr Mann wird auch ganz sicher nicht dagegen sein?«
    »Hat Aditis Mann etwas dagegen?«
    Aditi blickte von ihrem Schreibtisch auf. »Der ist zu beschäftigt mit Golfspielen. Ich höre nicht

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