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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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zu dabei zu sein. Ein Jahr nach der Eröffnung des Hauses, das auf radikale Weise in Paris, ja in Frankreich den Status der modernen Kunst und die Vorstellung von Ausstellungskonzepten veränderte, rief mich 1976 , es war kurz vor Weihnachten, Pontus an und sagte, er müsse mich unbedingt sofort sehen. Ich kam in den zweiten Stock des Centre, in dem man damals noch in einem riesigen Großraumbüro zusammenarbeitete. Dort erfuhr ich, dass, nach der Ausstellung »Paris – New York« die zweite ambitiöse Präsentation des Hauses den Beziehungen zwischen Frankreich, Deutschland und der Sowjetunion gewidmet sein sollte. Das war die neue Politik des Hauses, mit Fremdem und Ungewohntem bekanntzumachen, um die ästhetische Selbstzufriedenheit der Franzosen aufzurütteln. Im letzten Moment hätten sich nun die Russen geweigert, an einem Projekt teilzunehmen, in dem im Titel neben Paris und Moskau auch Berlin auftauche. Die Leitung des Centre lehnte diesen Einwand ab und nahm in Kauf, dass das Projekt zu Fall kommen konnte. Pontus Hulten schlug mir daraufhin vor, die geplante Ausstellung völlig auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu konzentrieren und diese vom Beginn des Jahrhunderts bis ins Jahr 1930 zu verfolgen und zu dokumentieren. Viel Zeit bliebe mir hierfür allerdings nicht, da der Eröffnungstermin am 12. Juli im kommenden Jahr unbedingt eingehalten werden müsse. Ich solle doch wichtige Bilder, Zeichnungen, Graphiken, Architekturmodelle, Beispiele aus Design und Plakatkunst, Film und Musik zusammenstellen. Ich zögerte keine Sekunde, den Vorschlag zu akzeptieren, wusste ich doch, dass einem eine derartige Chance nicht noch einmal geboten wird. Mit dem französischen Part wurde Jean-Hubert Martin beauftragt. Nachdem wir rasch festgestellt hatten, dass stilistisch gesehen nicht allzu viel für einen direkten Vergleich von Kunst aus Frankreich und Deutschland sprach, einigten wir uns darauf, französische Werke allenfalls als Zeugnis der Ähnlichkeit oder der Verschiedenheit heranzuziehen. Weder für den Surrealismus noch für das Bauhaus gab es im Nachbarland so etwas wie ein Äquivalent. Die luxuriösen Möbel Ruhlmanns, die anthropomorphen Kommoden von André Groult, die mit Rochenhaut beschlagen waren, hatten wirklich nichts mit dem zu tun, was die Werkstätten des Bauhauses oder die »Frankfurter Küche« im Auftrag von Ernst May, als Triumph des Taylorismus, präsentierten. Allein Dada bot sich, nicht zuletzt dank dem Aktivismus von Tristan Tzara, als ein grenzüberschreitendes Phänomen an. Es war dies die einzige Bewegung, die den Nationalismus bekämpfte. Wie gesagt: Eine Pseudomorphologie lehnten wir ab. Zu oft hatte diese bereits zu abträglichen Urteilen über die Kunst des Nachbarn geführt. Der Untertitel, den wir für die Ausstellung fanden, »Übereinstimmungen und Gegensätze«, sollte eher auf die Unterschiede als auf das Harmonische hinweisen. Auch bei diesem Vorhaben ging es darum, Grenzen anzuerkennen. Der Wunsch einer umfangreichen Präsentation dessen, was jenseits des Rheins erarbeitet worden war, rückte in den Vordergrund. Dies erschien uns als eine historisch einmalige Chance. Ohne auch nur eine Stunde zu verlieren, machte ich mich zusammen mit Marie-Laure Bernadac, Maja Oeri und Günter Metken an die Arbeit. Wir stellten zuerst eine ideale Liste der Werke aus dem deutschen Bereich zusammen. Diese intensive, richtiggehend fanatische Zusammenarbeit profitierte von der Pionierzeit des Centre Pompidou. Man macht sich keine Vorstellung mehr davon, wie die Lust an der Entdeckung alle im Hause zusammenschweißte und in Euphorie versetzte. Und als schließlich die Originale von Nolde, Grosz, Dix, Beckmann, Schlemmer ausgepackt wurden, war dies ein Moment der Emotionalität und der Verständigung, wie ich ihn nie mehr bei einer Ausstellung erlebt habe. Da hat jeder im anderen sein eigenes Fremdsein verstanden, und das berührte zutiefst. Wir studierten die Sammlungskataloge aller Institute, die wir um Leihgaben bitten wollten, zogen von Museum zu Museum, aßen mit dem Direktor des Nolde-Museums in Seebüll Wildenten, in der Züricher »Kronenhalle« Geschnetzeltes und entdeckten dabei auch die unüberwindbaren kulinarischen Unterschiede zwischen den Nationen. Ich hatte großartige Mitarbeiter, die, wie ich, pausenlos an dem Projekt arbeiteten. Auch an Sonntagen und Feiertagen saßen wir im zweiten Stock des Centre Pompidou um große Tische, auf denen wir zahllose Fotokopien und

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