Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
obwohl ich das Wort noch nie gehört hatte und es an unserer Schule auch keine Goths gab. Ich tat, was ich tat, weil ich es ästhetisch reizvoll fand. Neben Slayer, Testament und Metallica umfasste mein Musikgeschmack jetzt auch Bands wie Danzig, The Misfits, Siouxsie and the Banshees und Depeche Mode. Die alten Skateboarder-Poster verschwanden aus meinem Zimmer und wurden ersetzt durch alte Drucke, die ich in merkwürdigen Büchern fand. Die meisten hatten viel Ähnlichkeit mit Motiven von Goya-Zeichnungen und -Gemälden. Ich fing auch zwei schmutzige, bösartige Tauben und ließ sie in meinem Zimmer herumflattern.
Ich verbrachte sehr viel weniger Zeit mit Brian und verfiel zusehends wieder in den alten Trott, den Jason und ich uns angeeignet hatten. Brian wurde immer melancholischer. Eines Tages im Herbst standen wir in Ashleys Straße. Gedankenverloren schaute er ihr Haus an und fragte: » Vermisst du es? « Ich wusste genau, wovon er redete, aber ich fragte trotzdem, was er meinte. » Wie es im Sommer war « , sagte er.
» Nein « , sagte ich, und ich merkte, dass es stimmte. Viele Menschen, Orte, Zeiten und Dinge in meinem Leben machen mich nostalgisch, aber dieser Sommer gehört nicht dazu. Ich hatte inzwischen etwas anderes im Kopf. Ich hatte meine erste richtige Beziehung.
ZEHN
Meine Schwester konnte nicht singen, selbst wenn es um ihr Leben gegangen wäre, aber sie versuchte es trotzdem immer wieder. Das Problem war, dass aus ihrem Mund jedes Lied genauso klang wie das vorherige. Meine Mutter meinte, es läge an ihrer Schwerhörigkeit, aber ich habe meine Zweifel. Ich neige eher zu der Auffassung, dass sie einfach kein Talent hatte. Aber keine Mutter möchte ihrer Tochter sagen, sie klinge wie ein Sack Katzen, den man mit dem Stock prügelt. Michelle durfte nur deshalb in den Schulchor, weil grundsätzlich niemand abgewiesen wurde, der sich anmelden wollte.
Der Chorleiter hatte es für eine gute Idee gehalten, das erste Konzert keine zwei Wochen nach Schulbeginn zu veranstalten. Meine Schwester zog ihr bestes Kleid an, und meine Mutter wollte mit ihr zur Turnhalle fahren und sich die Vorstellung anhören. Normalerweise hatte ich kein Interesse an Veranstaltungen außerhalb des Unterrichts, schon gar nicht, wenn es sich dabei um einen Haufen dreizehnjähriger Mädchen handelte, die » Amazing Grace « jaulten, aber an diesem Abend reizte mich irgendetwas, und im letzten Moment entschloss ich mich mitzufahren.
Als wir geparkt hatten, liefen meine Mutter, meine Schwester und Jack eilig hinein, um ihre Plätze einzunehmen. Ich blieb noch eine Weile draußen, trödelte herum und wechselte ein paar Worte mit Leuten, die ich kannte. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, abends auf einem Schulcampus zu sein. Es fühlt sich nicht an wie sonst. Der Ort ist völlig verändert, und die Atmosphäre knistert erregend. Das spürte ich mehr, als dass ich es bewusst wahrnahm, während ich schließlich auf die Turnhalle zuging.
Ich hörte das Klavier und singende Leute, als ich mich dem Gebäude näherte. Fettig gelbes Licht fiel durch die vorderen Fenster, und plötzlich hatte ich das Gefühl, der Winter sei da, obwohl die Temperatur fast siebenundzwanzig Grad betrug. Als ich die Tür öffnete und in den Eingangsflur trat, verstärkte das Klicken meiner Stiefelabsätze auf den harten Fliesen dieses winterliche Gefühl noch weiter.
Drei Schritte vor mir sah ich die hölzernen Türflügel im Eingang zum Hauptteil der Turnhalle. Da stand ein Mädchen, das ein Auge an den Spalt zwischen den beiden Flügeln drückte und in die Halle spähte. Sie hatte mir den Rücken zugewandt. Als sie mich kommen hörte, ließ sie die Türflügel zurückschwingen, sodass der Spalt sich schloss, und drehte sich um. » Möchten Sie ein Programm, Sir? « Sie grinste mich an, als ob sie etwas Erheiterndes wüsste und ich nicht. Sie lächelte nicht, sie grinste.
Ich habe seitdem darüber nachgedacht, und es gibt einen Unterschied. Jemand lächelt, wenn er glücklich ist. Ein Lächeln vermittelt Wärme und Freundlichkeit. Ein Grinsen ist ein ganz anderes Paar Schuhe. Ein Grinsen impliziert Vergnügen. Wer grinst, freut sich meistens über irgendetwas, und sei es das Missgeschick eines anderen. Meine Großmutter sagte, immer, wenn ich grinste, sähe man den Teufel in meinen Augen tanzen. Und den habe ich an diesem Abend auch gesehen: den Teufel, wie er tanzte. Und es war kein Tanztee, sondern eher ein Moshpit.
Die Haut des Mädchens war so weiß
Weitere Kostenlose Bücher