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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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wir weiterfahren.«
    Fred lachte hell, als würde ihn jemand kitzeln. »Aber eine Kirche ist ein total guter Platz zum Totwerden!«
    Violet sah Albert von der Seite an, als wollte sie sagen: »Wo er recht hat, hat er recht.«
    Klondi nickte.
    Albert legte eine Hand auf Freds Schulter. »Also nach Helena.«

To the moon
     
    Das nicht sonderlich hübsche Lächeln Alfonsas (asymmetrische Zähne), mit dem sie Albert begrüßte, entsprach ziemlich genau dem Lächeln, das sie so oft aufgesetzt hatte, wenn er von einem seiner Ausreißversuche zurückgekehrt war: eine Kombination aus mütterlich und rechthaberisch. Ohne etwas zu sagen, sagte sie: »Schön, dass du zurück bist!« sowie: »Wusste doch, dass du zurückkommst!«
    Albert mochte es nicht, wenn er den Eindruck hatte, dass jemand, insbesondere die Ordensschwester, sein Handeln prophezeite; und gerade dafür besaß Alfonsa Talent. Er stand amEingang zu ihrem Zimmer, und die Lücke zwischen seinem Scheitel und dem oberen Türrahmen schien ihm erheblich.
    »Ich bin da«, sagte er.
    »Das sehe ich«, sagte Alfonsa, stand von ihrem Schreibtisch auf, kam ihm entgegen und klopfte ihm mit beiden Händen gegen die Oberarme, als wollte sie abmessen, wie breit er war.
    Ihr Lächeln schrumpfte zu ihrem zweideutigen Schmunzeln. »Du rauchst?«
    »Gelegentlich.«
    »Riecht nach häufig. Soll ungesund sein.«
    »Im Ernst?« Albert bemühte sich, ihr Schmunzeln zu imitieren.
    »Wir haben dich Naseweis so wahnsinnig vermisst.«
    Albert konnte sich nicht helfen: Das hörte sich zwar ironisch an, klang aber nicht so.
    Alfonsa nickte in Richtung des Schachbretts. »Eine Partie?« Selbst im schwachen Licht einer Stehlampe konnte Albert erkennen, dass sie die Damesteine poliert hatte.
    »Deswegen bin ich nicht hier.«
    »Sondern wegen deiner Mutter.« Das stimmte, und dennoch trafen ihre Worte Albert, und er suchte nach dem Schminkklappspiegel in seiner Hosentasche und fand ihn nicht. Er hatte ihn im Auto liegen lassen. Alfonsa beugte sich über den Laptop auf ihrem Schreibtisch und gab mit der Maus Frank Sinatra den Einsatz. Albert wusste, was jetzt kam. Als Nächstes würde sie schwärmen:
Was für eine umwerfende Stimme.
    Alfonsa nahm auf einem der Holzhocker Platz: »Was für eine umwerfende Stimme.«
    Fly me to the moon. Let me play among those stars.
    Albert rührte sich nicht von der Stelle. »Ich möchte jetzt wirklich nicht spielen.«
    »Aber natürlich willst du.« Sie deutete auf den leeren Hocker ihr gegenüber. »Und danach reden wir.«
    Let me see what spring is like on Jupiter and Mars.
    Lag es bloß an ihm oder wollte ihm niemand das geben, was er wollte? Wo stand geschrieben, dass es nicht auch einfach laufen durfte? Schwester Alfonsa, zum Beispiel, könnte ihm   – ganz undramatisch   – mitteilen: »Das ist deine Mutter.« Oder zumindest: »Das war deine Mutter.« Es müsste ja nicht einmal stimmen, solange er es nur glauben könnte.
    In other words, hold my hand.
    Kinder, dachte Albert nicht zum ersten Mal, sollten sich ihre Eltern aussuchen dürfen. Eltern waren viel zu nachlässig im Machen von Kindern. Was hatten sich seine Eltern, nein, was hatte sich seine Mutter dabei gedacht? Ihm wäre eine Menge erspart geblieben. Ihm wäre erspart geblieben, sich um Fred zu sorgen, den er auf Sankt Helenas Krankenstation zurückgelassen hatte. Ihm wäre erspart geblieben, Freds blasse Hand zu halten und ihm das Versprechen zu geben, dass er zurückkomme, bevor Fred »tot werden würde«. Ihm wäre erspart geblieben, den fünfminütigen Weg von der Krankenstation zu Alfonsas Zimmer auf eine halbe Stunde auszudehnen, weil er sich fragte, immer wieder stehen blieb und sich fragte, ob er nicht doch zurückgehen und sich von Fred verabschieden sollte   – was er am Ende verwarf; er ging lieber das Risiko ein, sich nie verabschiedet zu haben, als es zweimal tun zu müssen. Und ihm wäre   – neben all den lästigen, belastenden, schmerzvollen Dingen der letzten neunzehn Jahre   – erspart geblieben, nun, kurz nach Mitternacht, keine Stunde nach ihrer Ankunft in Sankt Helena, gegenüber von Alfonsa, hinter seiner weißen Truppe Platz zu nehmen und fürs Erste einen Bauern in den sicheren Tod zu schicken.
    In other words, baby, kiss me.
    Albert wollte die Partie hinter sich bringen. Also musste er verlieren. Schnell gegen Alfonsa zu gewinnen war ein Widerspruch in sich. Aber absichtlich gegen sie zu verlieren, ohne dass sie es bemerkte, war beinahe ebenso schwer, wie sie

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