Meister der Assassinen
sie sich der Beschäftigung zu, die sie vorhin für das Schauspiel unterbrochen hatten.
Langsam, mit der Geschmeidigkeit eines Panthers kam der Assassine die Stufen herab. Die Anwärter wichen zur Seite und drängten sich noch dichter zusammen. Zwischen dem Verhüllten und Laura gab es kein Hindernis mehr.
Der Rausschmeißer, dachte sie voller Galgenhumor und rührte sich nicht.
Als der Assassine unten angekommen war, zog er langsam ein mächtiges Krummschwert. Auf der anderen Seite in seinem Gürtel steckte ein prächtiger Ritualdolch mit gekrümmter Spitze. Er sprach kein Wort, und das war auch nicht erforderlich. Die Anweisung war klar: Geh sofort, oder du wirst in Stücke gehauen und anschließend mit dem Abfall nach draußen entsorgt. So oder so, du verschwindest von hier.
Laura rührte sich nicht, und sie wich dem Blick des Assassinen nicht aus.
Der Vermummte rannte mit erhobenem Schwert auf sie zu.
Noch bevor sie den Berg erstiegen hatte, wäre Laura jetzt schreiend davongerannt. Oder vielmehr gestolpert und schon nach wenigen Schritten aus Schwäche gestürzt. Sie hätte sich in dieser unterlegenen Lage herumgedreht und darauf hingewiesen, dass sie Zivilistin sei, im Kampf völlig ungeübt, und noch nie ein Schwert in der Hand gehalten habe. Sie hätte mit allerlei Geschwätz versucht, die Lage zu entschärfen und irgendwie einen Handel zu erreichen.
Auf dem Weg hier herauf aber hatte sie gelernt, die Lage einzuschätzen. Zuerst zu beobachten, zu analysieren und dann zu handeln.
Sie verharrte reglos. Spürte die Blicke der Anwärter rings um sie, die sie atemlos beobachteten. Man musste sie unweigerlich für verrückt halten, und dem konnte sie nicht einmal widersprechen. Es war Wahnsinn gewesen, von Anfang an. Warum überhaupt kümmerte sie der Dolch? War Innistìr denn ihre Heimat? Sollten die doch alle selbst sehen, wie sie mit Alberich fertig wurden!
Aber genau das war es: Es ging sie etwas an. Es war ihre Sache. Sie hatte den Dolch an sich gebracht ... gestohlen war nicht das richtige Wort, denn er war im Gläsernen Turm aufbewahrt gewesen, aber niemand hatte Anspruch darauf erhoben. Die Musikbegeisterten dort hatten ihn für ihre Zwecke benutzt, sich aber nie darüber Gedanken gemacht, ob er ihnen auch gehörte.
Und die Bestimmung des Dolchs Girne war nicht, besonders tolle Töne hervorzubringen, je nachdem, wie er in seinem Schutzfeld gelagert war. Er war dafür geschaffen worden, Alberich umzubringen. Alberich war ein Tyrann, der dabei war, Innistìr zu vernichten und dazu die Gestrandeten, die keine Chance auf rechtzeitige Heimkehr hatten, solange er auf dem Thron saß.
Damit schloss sich der Kreis zu Laura. Und es hatte sich gezeigt, dass sie die Einzige war, die es bis hier herauf geschafft hatte. Der Dolch gehörte also ihr, und sie allein bestimmte darüber.
Deswegen war sie hier, und genau deswegen würde sie nicht wanken und weichen, jetzt nicht mehr. Und die Zeit, einen Handel zu schließen, war vorbei.
Laura hörte, wie einige zischend Atem holten, als der Assassine sie erreichte und das Schwert schwang. Sie konnte sich nur selbst wundern über ihre Gelassenheit, aber wahrscheinlich war sie einfach nur müde. Und schlecht gelaunt. Diese Strapazen hier herauf hatten ihr vollauf gereicht. Sie hatte die Nase gründlich voll.
Das Schwert sauste mit einem scharfen Zischen über sie hinweg, ohne auch nur ein vom Luftzug aufgewirbeltes Härchen anzutasten. Laura hörte das leise Singen des Metalls und konnte nicht verhindern, dass ihre Augenlider zuckten. Aber ansonsten blieb sie genau, wo sie war, ohne den Kopf einen Zentimeter einzuziehen.
Der Assassine verharrte vor ihr. Dann ließ er das Schwert sinken und zog mit der anderen Hand den Gesichtsschleier beiseite. Es war eine Frau. Eine schöne noch dazu, mit außergewöhnlichen Mandelaugen und wundervoller Olivhaut.
»Mut oder Torheit?«, fragte sie mit leicht rauer Stimme.
»Kalkül«, erwiderte Laura. »Deiner Kleidung nach bist du ein Assassine. Du wirst nicht grundlos töten. Und du tötest niemanden, der völlig waffenlos und wehrlos ist und kein Kämpfer, so wie ich. Das würde dich entehren.«
Die Frau zog eine fein geschwungene Braue hoch. »Ich bin Hanin.« Sie deutete eine Verbeugung an.
»Ich bin Laura«, stellte sie sich ohne Verbeugung vor. »Ich möchte den Dolch zurück, der mir gehört.«
»Ja, Salik sagte es bereits. Darüber dürfen wir nicht entscheiden. Ich begleite dich zum Meister. Folge mir.«
Ach, jetzt
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