Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
die hinter diesem ausgeklügelten Schwindel steckte, erreichen
wollte.
Rick bestellte eine Schale Schwarze Bohnensuppe
und Schweinefleisch-Adobo. Beide Gerichte schmeckten sogar noch besser, als er
es in Erinnerung hatte. Das Schwein war saftig, die Suppe gut gewürzt - die
Erinnerungen waren zartbitter.
Als es dunkel wurde und die Lichter angingen,
spazierte er, auf seinen Gehstock gestützt, den Pier entlang. Ohne großes
Interesse spähte er zu dem alten Karussell mit den handgeschnitzten Pferden
hinüber, das im Nebel verschwamm. Seine Gedanken kreisten um die Frau in dem
silbernen Wagen, den Mörder der Zwillinge, die seltsamen Telefonanrufe und den
»Geist«, den er im Innenhof der verfallenen Mission San Capistrano gesehen
hatte. Es ging um etwas Persönliches. Wer immer hinter dieser Sache steckte,
wusste, wie er ihn fertigmachen konnte, und hatte viel Zeit damit verbracht,
einen Plan auszutüfteln. Er bezweifelte, dass der Drahtzieher jemand war, den
er verhaftet und ins Gefängnis gesteckt hatte. Wenn es ihm einer von den Typen
heimzahlen wollte, würde er kurzen Prozess machen und auf ihn schießen, ihn auf
der Straße niederstechen oder seinen Wagen in die Luft jagen. Das hier war
etwas anderes. Jemand wollte Psychospielchen mit ihm treiben. Jemand, dem er
persönlich unrecht getan hatte. Jennifer.
Sie war die Einzige, der er nie vergeben hatte,
und das hatte er sie spüren lassen. Selbst als sie einen zweiten Versuch
wagten, war Bentz auf der Hut gewesen. Misstrauisch. Hatte darauf gewartet,
dass die nächste Bombe hochging. Und sie war hochgegangen. Mit voller Wucht.
Er kam an einem Laden vorbei, in dem
Sonnenbrillen und Strandutensilien verkauft wurden, doch er achtete kaum
darauf. Jetzt gelangte er an den Teil des Piers, der in den Pazifik und den
immer dichter werdenden Nebel ragte. Der Nebel verwirbelte im Licht der
Straßenlaternen und bildete einen gespenstisch leuchtenden Schleier, durch den
er kaum etwas erkennen konnte. Mittlerweile war es Nacht geworden.
Nur eine Handvoll Spaziergänger war noch unterwegs.
Ein junges Pärchen, der Mann mit Mütze und Schlabbershorts, das Mädchen mit
hochgesteckten blonden Haaren, saß eng umschlungen auf einer Parkbank und hatte
die Welt um sich herum vergessen.
Junge Liebe. Bentz
dachte an Olivia und was für ein Gefühl sie ihm gab, wenn sie allein waren. Als
wäre er der einzige Mann im Universum. Reifere
Liebe. Er zog gerade sein Handy aus der Tasche, um sie
anzurufen, als er einen alten Mann bemerkte, der eine Zigarre rauchend am
Geländer lehnte. Er trug einen wohlgestutzten Ziegenbart und Glatze und
ertrank fast in seiner Jacke, die ihm ein paar Nummern zu groß war. Ein
schlanker Jogger mit Baseballkappe beugte sich vor, die Hände auf den Knien,
und verschnaufte nach dem Workout. Weiter westlich, Richtung Pierende, stand
eine Frau im Nebel. Bentz stutzte.
Die langen dunklen Haare fielen ihr über den
Rücken, sie trug ein rotes Kleid und hatte das Gesicht von ihm abgewandt
Richtung Meer.
Jennifer! Sie hatte auch ein solches Kleid
besessen. Bentz' Herz setzte einen Schlag lang aus. Hatte, ermahnte er sich selbst.
Sie hatte ein
Kleid wie das besessen, das die Frau trug, ein knielanges, glänzendes, ärmelloses
Etwas mit schmaler Taille ... Verflucht noch mal, es sah genauso aus wie das
von seiner Ex-Frau! Er erinnerte sich, dass Jennifer es ihm nach einem
Einkaufsbummel gezeigt hatte. »Wie findest du's?«, hatte sie gefragt und sich
vor ihm gedreht, so dass sich das Kerzenlicht in den weichen Falten der roten
Seide fing. »Es ist hübsch.«
»Oh, komm schon, RJ«, hatte sie gegurrt. »Es ist
weit mehr als >hübsch<.«
»Wenn du das sagst.«
Sie hatte gelacht und den Kopf zurückgeworfen.
»Ja, das sage ich. Ich finde, es ist sexy. Oder absolut umwerfend.« Sie hatte
eine ihrer dunklen Augenbrauen hochgezogen und war durch den Flur zurück ins
Schlafzimmer gelaufen, und er war ihr gefolgt wie ein Fisch an der Angel. Seine
Finger krümmten sich um den Griff seines Gehstocks.
Geh nicht dorthin, befahl
er sich. Er stellte fest, dass die Frau auf dem Pier barfuß war. Jennifer ist
am Strand immer barfuß gegangen. Ach, zur Hölle, nun halte doch nicht jede
schlanke, barfüßige Frau mit mahagonibraunem Haar für Jennifer! Nein!,
korrigierte er sich selbst. Halte nicht jede schlanke, barfüßige Frau mit
mahagonibraunem Haar für die Frau, die vorgibt, deine Ex-Frau zu sein. Trotzdem
hinkte er, angezogen von dem Bild, Richtung Westen zum Meer.
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