Mich gibt s ubrigens auch fur immer
Weihnachtstag. Als ob das nicht ohnehin zwischen uns stünde, auch wenn wir an der Oberfläche so weiterleben wie bisher. Und ich wünschte, er wäre nicht so gelassen bei dem Gedanken, mich zwei Wochen nicht zu sehen. Vielleicht möchte er ja auch noch mal über alles nachdenken? Wieso nur hatte ich mich bei seinem Antrag nicht im Griff?!
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N ach Indien, nach Indien. Am liebsten würde ich mitkommen«, ruft Lilly, und ihre silbernen Armbänder klingeln bei ihren aufgeregten Handbewegungen.
»Eine Indienreise steht wohl nicht zufällig auf deiner To-Do-Liste?«, frage ich scherzhaft. Ich versuche, sie mir mit uns in Indien vorzustellen. Unweigerlich sehe ich Bilder vor meinem geistigen Auge, die wohl eher in die Kolonialzeit passen: Lilly, die in Safari-Hosen von einem Elefanten aus Jagd auf groÃe Tiger macht, um sich hernach von einem schmucken einheimischen »Boy« auf ihrer Veranda kalten Eistee servieren zu lassen.
Sie zuckt mit den Achseln. »Ich hatte mir überlegt, die Weltreise mit aufzunehmen. Aber man muss realistisch bleiben. AuÃerdem war ich schon mal in Indien. Ihr müsst unbedingt in diesen entzückenden englischen Buchladen in Delhi ⦠seid ihr überhaupt in Delhi?« Sie ist nicht zu bremsen. Ihre Begeisterung ist wirklich ansteckend. Ob ich in Indien als Erstes einen englischen Buchladen aufsuchen würde, weià ich nicht. Aber ich sagâs doch: Lilly steht der Kolonialstil einfach. Man kann es ihr nicht einmal übelnehmen. Bei aller Exzentrik hat sie die würdevolle Aura einer Fürstin.
»Aber was macht dein Vater da eigentlich?«
»Nun ja, er ist so etwas wie ein Guru.«
»Hm?«, macht Lilli und geht einen Schritt zur Seite, damit ich eine ihrer Mitbewohnerinnen bedienen kann.
»Tanja fährt nach Indien. Aufregend, nicht wahr?«, bindet Lilly sie kurzerhand ins Gespräch ein. Dora mustert mich: »Sie haben doch auch diesen indischen Freund, oder?«
»Na ja, eigentlich ist er Deutscher, seine Eltern sind Inder.«
Diese Erklärung ist Dora viel zu spitzfindig. »Mich haben ferne Länder ja nie interessiert. Die Menschen sollen gefälligst da glücklich sein, wo sie sind und zufrieden sein mit dem, was sie haben.« Das war wohl ein Seitenhieb gegen Lilly. Ich wette, ihre Liste hat sich längst rumgesprochen. Jetzt fühlen sich die anderen mächtig unter Druck gesetzt. Sollte man mit über siebzig tatsächlich noch andere Pläne haben, als tagaus, tagein im Park über Krankheiten zu schwatzen und über Schwiegertöchter zu schimpfen? Lilly nimmt die Zurückweisung gelassen und verdreht nur leicht die Augen in meine Richtung. Dann kichert sie wieder. Dora springt zur Seite, als hätte Lilly eine ansteckende Krankheit â so etwas wie Pocken oder Frohsinn â und gesellt sich zu ihren drei griesgrämigen Freundinnen.
»Also, was macht denn nun ein Guru in Indien?« Lilly schaut mich mit groÃen Augen an. Mist, ich hatte gehofft, sie hätte es schon wieder vergessen.
»Er lebt mit ein paar Leuten in einer Art Camp und ist so etwas wie ihr spiritueller Führer.«
Lilly strahlt: »Nein, du meinst Haschisch, freie Liebe und so?« Aus ihrem Mund klingt das irgendwie drollig. Man möchte diese Hippie-Attitüden nur nicht unbedingt mit dem eigenen Vater in Verbindung bringen. In meinem Kopfkino sitzt er als eine Art Jesus am Abendmahltisch, um ihn herum barbusige Maria-Magdalena-Verschnitte mit Tamburinen.
Lilly deutet meinen betrübten Blick falsch. »Oh, er ist schlecht mit dir umgegangen?«
»Das nun nicht direkt, aber ⦠es ist schwierig.«
»Quatsch. Wenn du dich eigentlich nicht beklagen kannst, sei ihm dankbar dafür, dass du so ein aufgeschlossenes Mädchen geworden bist.«
Bei Lilly klingt alles so einfach. Deine Kinder sind scharf auf dein Haus? Gib es ihnen! Dein Vater interessiert sich mehr für Joints als für Mathe-Nachhilfe? Setz dich dazu und lerne von ihm fürs Leben, statt für die Schule!
»Bekomme ich vielleicht auch noch einen Kaffee?«, grummelt da plötzlich Lothar neben uns. Er würdigt Lilly keines Blickes. Vermutlich hat er ihr den Kuss noch nicht verziehen.
»Aber sicher doch«, sagen Lilly und ich gleichzeitig. Wir lachen. Lilly macht Lothar etwas Platz, und ich bereite den Kaffee für ihn zu. Als ich ihm die gefüllte Tasse reiche, beugt er sich vor, um mir
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