Microsoft Word - Eschbach, Andreas - Der letzte seiner Art.doc
Stunden vor dem Mord,
hat ein gewisser Jeff Smith in Brennan's Hotel eingecheckt.
Sein Koffer ist immer noch in seinem Zimmer, er selber ist seit Dienstag verschwunden. Und in dem Koffer war nichts als ein großer Ballen Verpackungsmaterial, luftgepolsterte
Plastikfolie, an der man Spuren von Waffenöl gefunden hat.«
»Der Mörder«, sagte ich.
Finnan nickte kaum wahrnehmbar. Offensichtlich erachtete er es als überflüssig, eine solche Selbstverständlichkeit eingehender zu kommentieren. »Woraus zweierlei folgt«, sagte er stattdessen und beendete das Dasein seiner erst halb
gerauchten Zigarette im Aschenbecher. »Erstens hat er
gewusst, dass Itsumi im Hotel war. Zweitens hat er die
Unterlagen aus Itsumis Zimmer mitgenommen und weiß also, dass es sich dabei um Kopien handelte. Wenn er zwei und zwei zusammenzählen kann, sagt er sich, dass meine Schwester
möglicherweise die Originale hat. Und er läuft immer noch da draußen herum.«
Wie ein heißer Schwall überfiel mich das Verlangen, Bridget zu beschützen. Wenn es nur irgendeinen Sinn gemacht hatte, sich mit blankgezogenem Breitschwert und Schild vor sie zu stellen und sie zu verteidigen, ich hatte es getan. »Sie müssen sie in Sicherheit bringen, Finnan.«, sagte ich mit trockenem Mund. »Das ist nichts, was vorbei sein wird, wenn Itsumis Mörder gefasst ist. Falls man ihn je fasst.«
171
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Aber sie will Sie
vorher sehen.«
»Mich?«
Er machte eine unwillige Handbewegung in die Runde.
»Deswegen wollte ich Sie sprechen. Um das zu arrangieren.«
Ich starrte ihn mit einem Gefühl plötzlicher Blutleere im Hirn an. Vermutlich hatte ich etwas sagen sollen, aber ich war dazu außerstande. Der Blitz schlägt ein, der Donnerknall folgt mit Verzögerung: So ging es mir mit dem Begreifen dessen, was Finnan MacDonogh gesagt hatte. Bridget wollte mich
sehen! Das schien irgendetwas mit meiner Atmung zu machen, oder vielleicht brannten auch gerade irgendwelche Sicherungen meiner inneren Systeme durch, von denen ich bisher nichts gewusst hatte. Und nachdem der Donner vorübergerollt war, fiel mir ein, warum Begeisterung das ganz falsche Gefühl in diesem Zusammenhang war.
Ich sagte: »Das ist gefährlich.«
»Was Sie nicht sagen«, erwiderte MacDonogh.
»Ich habe«, erklärte ich – behutsam, um den Eindruck, ich litte an Verfolgungswahn, gar nicht erst aufkommen zu lassen
–, »das deutliche Gefühl, dass ich verfolgt werde.«
Das schien er ausgesprochen witzig zu finden. Auch einige der Leute um uns herum konnten ein Lachen kaum
unterdrücken.
»Im Ernst«, sagte ich, »Sie sollten die Unterlagen mir geben und Ihre Schwester so schnell wie möglich so weit wie möglich von hier fortbringen.« Ich hatte nur höchst undeutliche
Vorstellungen davon, was ich mit den Dokumenten tun würde, außer sie von vorn bis hinten zu lesen. Die vage Vorstellung, es könnte gelingen, den entscheidenden Leuten glaubhaft zu
machen, die Originale seien seit der Ermordung des Anwalts in 172
meinem Besitz gewesen, und sie dadurch von Bridget
abzulenken, schwebte verheißungsvoll im Nebel meiner
Gedanken.
Finnan MacDonogh rutschte auf seinem Stuhl nach vorn und beugte sich über den Tisch. Nur ein bisschen, aber nachdem er die ganze Zeit reglos wie ein Ölgötze dagesessen hatte, wirkte diese Bewegung ausgesprochen eindrucksvoll. »Mister
Fitzgerald, ich weiß nicht, wie gut Sie meine Schwester
kennen, aber zweifellos nicht so gut wie ich, sonst hätten Sie keinen Atemzug daran verschwendet, das eben zu sagen. Wenn Bridget sich etwas in den Kopf setzt, ist es sinnlos, zu versuchen, es ihr auszureden. Sie ist in solchen Fällen zu allem imstande, insbesondere dazu, die unerwartetsten Dinge zu tun, ohne Rücksicht auf damit verbundene Gefahren. Die Erfahrung eines Lebens hat mich gelehrt, in Bezug auf meine Schwester einer ganz und gar simplen Strategie zu folgen: Was immer sie will, dass ich tue, das tue ich.«
Ich muss ihn ausgesprochen verblüfft angeschaut haben.
»Sie haben Recht«, meinte ich dann. »So gut kenne ich sie tatsächlich nicht.«
Er holte mit entsagungsvollem Lächeln ein
zusammengefaltetes Stück Papier aus der Tasche. »Wollen wir also jetzt aufhören, über Unmöglichkeiten zu reden, und dieses Treffen organisieren?«
»Was wäre eigentlich, wenn ich mich weigere, zu
kommen?«
»Dann kommt Bridget zu Ihnen. Vermutlich. Irgendwie.«
Ich starrte ihn an und wusste nicht, ob ich mir das wünschen
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