Mira und der weiße Drache (German Edition)

sagten, dass sowieso nur die zähesten der Hexen und Zauberer die Suppe runterkriegen würden und dass diese sowieso lange lebten. Das mit dem »lebensverlängernd« sei also reiner Unfug. Aber dieser Streit ist eine ganz andere Geschichte!)
    Die Hexe Fa warf gedankenverloren einen Büschel getrockneten Knöterichs in den Kessel und kratzte sich unter ihren vielen schweren Röcken am Knie. Das Fenster stand offen und die Gleise schimmerten im Licht des Vollmonds. Die feuchte Luft roch bereits ein wenig nach Schnee.
    Gerade als die alte Hexe ein weiteres staubiges Kräuterbüschel von einem Haken an der Decke löste, schoss plötzlich ein braunes Etwas von draußen durch das Fenster.
    Es sah aus wie ein braunes Wollknäuel – nein, die Hexe Fa rieb sich die Augen: Das Wollknäuel schien Flügel zu haben und flog geradewegs Richtung Suppentopf. Es verfehlte ihn um Haaresbreite, nur um gleich darauf auf dem Tisch zu landen, wo es mit einem Flügelschlag ein volles Einmachglas mit Brühe herunterwischte. Die Flüssigkeit spritzte hoch, und zwischen den Scherben saß eine völlig bekleckerte kleine Amsel.
    Die alte Hexe packte den Vogel kurzerhand am Flügel und setzte ihn in ihre raue Hand. Die Amsel zitterte, wagte aber nicht wegzufliegen, während die alte Hexe das Tier durch ihre dicken Brillengläser musterte.
    »Ich tue ja einiges in die Suppe − aber an Amseln habe ich noch nie gedacht«, sagte die Hexe Fa und lachte trocken. Sie betrachtete den Vogel ausgiebiger. »Wobei das ja vielleicht gar keine schlechte Idee ist.«
    »Nein, bitte nicht!«, piepste eine verängstigte Stimme im Kopf der Hexe.
    »So, so, sprechen kann die Amsel auch noch«, sagte die Hexe und setzte das Tier behutsam auf den wackeligen Holztisch neben dem Kamin. »Will sich die Amsel dann vielleicht nicht einfach zurückverwandeln?«
    »Ich weiß nicht, wie das geht«, sagte die dünne Stimme kläglich.
    »Ah ...«, sagte die alte Hexe, »... scheint ein sehr junges Exemplar zu sein. Verwandelt sich und weiß nicht, wie die Rückverwandlung geht. Am liebsten würde ich sie noch ein bisschen schmoren lassen.« Die Augen der Hexe wirkten riesig durch die großen Brillengläser und die kleine Amsel zitterte nur noch mehr.
    »Na ja ...«, brummte die alte Hexe, »... eigentlich kannst du ja nichts dafür. Sie bringen den Kindern heutzutage einfach nichts mehr bei!«
    Sie nahm einen staubigen Lappen und wischte die Brühe von der kleinen Amsel. »Du musst dich schütteln und dir nur wünschen, wieder ein Mensch zu sein! Ganz einfach!«
    Ja, dachte Mira, nichts wünschte sie sich mehr! Sie schloss die kleinen Augen, schüttelte sich und bat mit aller Kraft wieder um ihre menschliche Gestalt. Doch als sie die Augen wieder öffnete, starrte sie immer noch in die riesigen Pupillen der alten Hexe.
    »Wie seltsam!«, murmelte die. »Warum kannst du dich denn nicht zurückverwandeln?« Sie schüttelte den Kopf und nahm ein paar Kräuter von der Anrichte, zerstieß sie im Mörser und warf das feine grün-braune Pulver anschließend über den Vogel.
    Da saß Mira plötzlich auf dem Tisch, ihre Kleidung war feucht und schmutzig und sie musste gleich mehrmals hintereinander niesen. Sie sah müde aus und versuchte, ihre zitternden Knie zu beruhigen, indem sie sie mit den Händen festhielt.
    »Na, na«, sagte die Hexe Fa, »ich pflege nie, Zauberer oder was immer du sonst sein magst, in die Suppe zu tun, das solltest du wissen.« Mira nickte schwach. Die alte Hexe entkorkte eine staubige Flasche, die sie hinter ihrem Küchenschrank hervorholte, und goss Mira einen großen Schluck eines schlammigen braunen Getränks in ein Glas.
    Sie selbst nahm einen großen Schluck aus der Flasche, bevor sie sie wieder verkorkte, und reichte Mira das Gläschen. Das Mädchen starrte auf die trübe Brühe und wagte weder das Glas abzulehnen noch einen Schluck daraus zu versuchen. »Na los, das bringt dich wieder auf die Beine!«, sagte die Hexe.
    Mira schloss die Augen und kippte das Gebräu todesmutig in einem Zug hinunter. Nun ja, es schmeckte genauso, wie es aussah. Doch nach kurzer Zeit merkte sie, wie sich eine wohlige Wärme in ihr ausbreitete. Ihre Knie hörten auf zu zittern und sie fühlte sich mit einem Mal kräftiger. »Krötenpunsch hilft immer«, sagte die Hexe. »Und jetzt setz dich erst mal auf das Sofa!« Mira sprang noch etwas ungelenk vom Tisch und setzte sich auf ein quietschendes Sofa, das einen giftgrünen Bezug hatte und sehr zerschlissen aussah. Sie