Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser
Reaktion darauf, sich mitten auf einem Schlachtfeld wiederzufinden.«
»Ich würde das schon verzeihen«, stimmte ihr Tish mit einem Schaudern zu, »aber Männer dürfen ja ihre Furcht nicht zeigen und schon gar nicht so handeln, als hätten sie welche. Vielleicht fangen sie deswegen immer wieder irgendeinen dämlichen Krieg an: damit sie einander beweisen können, wie tapfer sie doch sind.«
»Wie kleine Jungs, die sich gegenseitig im Sandkasten her-ausfordern. Bist du soweit? Dann mach ich das Licht aus.«
Im Dunkeln sagte Tish: »Ach, ich hab fast vergessen zu fragen, wie du mit deinen Recherchen vorankommst.«
»Bestens. Ich habe einen Amerikaner kennengelernt, der in der Harvard-Mannschaft mitgerudert ist, die 1914 den Grand gewonnen hat. Er ist mit seiner Frau hier, um ihr einmal die Regatta zu zeigen. Es wird die amerikanischen Leser besonders interessieren, wenn ich deren Erlebnisse und Ansichten einfließen lasse. Und meine Freundin Betty – ihr Mann Fitz ist Mitglied in der Stewards’ Enclosure – hat angeboten, mich morgen dem Duke of Gloucester vorzustellen. Ist das nicht prachtvoll? Die Amerikaner beten die englische Königsfami-lie ja regelrecht an. Frag mich nicht, wieso.«
»Du wirst Prince Henry kennenlernen?«
»Ja, morgen nachmittag. Alec hat mir erzählt, ein paar seiner Kollegen werden sich in Zivil unter die Menge mischen, um die Dinge im Auge zu behalten. Alec wird so tun müssen, als kenne er sie alle nicht, aber natürlich werden sie genau wissen, wen sie vor sich haben. Ich hoffe nur, daß nichts passiert, wobei sie etwa seine Hilfe brauchen.«
»Hoffen wir’s. Ein Jammer, daß er erst morgen in Hen-
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ley ankommt, sonst hätte er mit uns zur Kirmes gehen
können.«
»Es war ganz reizend von Fosdyke, mich dahin zu begleiten, aber er hat mir die ganze Zeit das Gefühl vermittelt, ich wäre seine ältliche Tante! Wenigstens ist Alec bis dahin hier.
Bei Polizisten weiß man das ja nie so genau. Er wird mich morgen früh so zeitig abholen, daß wir den Start vom Ambrose-Vierer im neuen Durchlauf sehen können.«
»Dottie und ich wollen uns auch den Start anschauen.
Wenn sie verlieren, wird das an der Ziellinie ja alles entsetzlich deprimierend, aber wenn sie gewinnen, dann stellen wir uns beim Abschlußrennen an die Ziellinie.« Tish schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Ich hoffe inständig, daß die Mannschaft das Rennen gewinnt. Glaubst du, Basil DeLancey stellt sich da unten hin und bewacht das Boot, obwohl es ihm sein Bruder verboten hat?«
»Ich weiß nicht«, sagte Daisy schläfrig. »Mit seiner Selbst-beherrschung ist es ja selbst in seinen lichten Momenten nicht besonders weit her, und das war ein ziemlich starker Whisky Soda, den er vorhin in sich hineingekippt hat. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß er sich gleich anschlie-
ßend einen zweiten genehmigt hat. Falls er in dem Zustand Wache schieben will, kann ich nur hoffen, Bott taucht da unten nicht auf, sonst gibt es wirklich noch Mord und Totschlag.«
Plötzlich aufgeschreckt lag Daisy einen Augenblick da und versuchte angestrengt zu verstehen, was sie hörte. Schwere, ungeschickte Schritte, rauhes Atmen – jemand befand sich in ihrem Zimmer! Sie knipste das Nachttischlämpchen an.
Schwankend stand Basil DeLancey vor ihr, die eine Hand an den Kopf gelegt, die andere vor sich ausgestreckt, als suche er eine Stütze.
Tish lag mit entsetzt aufgerissenen Augen in ihrem Bett, die Decke bis an die Nase hochgezogen. DeLancey trat stol-pernd einen Schritt vor. Tish fing zu kreischen an und setzte 65
sich auf. Ihr Feldbett kippte zur Seite. DeLancey stolperte über eines der Beine, das jetzt ausgestreckt am Boden lag.
Daisy sprang aus dem Bett und lief zu Tish, um sie aus dem Gewirr von Laken und Decken zu befreien.
»Er ist hinter mir her!« wimmerte Tish.
Aber DeLancey lag hingestreckt auf dem Fußboden und
stöhnte. Ganz offenbar war er nicht in der Lage, aufzustehen und sich zu nehmen, was er begehrte.
»Möglicherweise. Vielleicht hat er so viel getrunken, daß er dich verführen wollte, und hat dabei vergessen, daß ich ja das Zimmer mit dir teile. Aber wahrscheinlicher ist, daß er sich vor lauter Alkohol oben an der Treppe in der Richtung geirrt hat. Sein Zimmer ist doch das erste zur anderen Seite hin, nicht wahr?«
»Ach so, ja, das stimmt«, sagte Tish dankbar. Sie war lei-chenblaß und starrte den hingestreckten Eindringling an wie das Kaninchen die Schlange.
DeLancey war vollständig
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