Mission Munroe 03 - Die Geisel
Make-ups recht ansehnlich aus. Sie würde eine Menge Blicke auf sich ziehen, und keiner von denen, die ihr diese Blicke zuwarfen, würde sie für das Opfer einer Misshandlung halten. Munroe wollte nach Neevas Haaren greifen, doch als das Mädchen zusammenzuckte, hielt sie inne.
»Darf ich?«
Neeva hielt still.
Munroe lockerte die Locken ein wenig, löste die, die sich ineinander verwickelt hatten. Doch davon abgesehen waren die Haare immer noch perfekt, wie das Nylon-Haar einer Puppe. Und bei aller Aufmerksamkeit, die ihre Aufmachung auf sich ziehen würde, war sie gleichzeitig auch eine Ablenkung. Die menschliche Natur würde sich zuerst einmal fragen, was diese Kostümierung sollte, bevor sie die Person bemerkte, die darin steckte.
»Gut siehst du aus«, sagte Munroe. Neeva verdrehte die Augen.
Munroe griff nach unten und ließ die Motorhaube aufschnappen, tastete unter ihrem Sitz nach dem Radkreuz, das sie vor vielen Stunden dorthin geschoben hatte, und ließ es auf dem Boden zwischen ihren Füßen liegen. Dann legte sie bewusst und mit sehr langsamen Bewegungen, damit Neeva darauf aufmerksam wurde, Lumanis Handy auf die Mittelkonsole, öffnete die Fahrertür und sagte: »Gehen wir.«
Sie war bereits an der Beifahrertür, bevor Neeva ausgestiegen war, nahm die junge Frau an der Hand, führte sie ein kleines Stück weit weg und schlug die Tür ins Schloss. Dann legte sie ihr den Arm um die Schultern und sagte: »Wir haben keine Zeit, um lange zu reden. Du musst jetzt gut aufpassen, okay? Ich gehöre nicht zu denen . Ich werde mir etwas ausdenken, wie ich uns aus diesem Schlamassel rausholen kann, aber du musst unbedingt machen, was ich sage. Versuch ja nicht wegzulaufen. Wenn du das tust, werden sie dich finden, und dann kann ich dir nicht mehr helfen. Hast du verstanden?«
»Aber was ist mit deinem Freund, der dann sterben muss?«
»Das ist mein Problem«, erwiderte Munroe im Flüsterton. Ihre Worte überschlugen sich, während sie versuchte, alles, was gesagt werden musste, in fünfzig Sekunden zu packen. Sie hätte eigentlich deutlich mehr Zeit gebraucht. »Im Augenblick geht es für uns nur darum, am Leben zu bleiben. Ich kann uns hier rausholen, aber nur wenn du machst, was ich dir sage.«
Neeva nickte.
»Der Typ mit dem Gewehr ist irgendwo da draußen und beobachtet uns. Außerdem verfolgt uns der Kerl, der dich gestern Abend geschlagen hat. Ich muss wissen, wo er ist, bevor wir etwas unternehmen. Ich gebe dir das Telefon, meine Schuhe und den Rucksack. Und sobald ich dir die Sachen gegeben habe, gehst du los.«
Munroe drehte Neeva um, in die Richtung, die sie zuvor mit einem Blick auf das GPS -Gerät ermittelt hatte, und so, dass sie direkt einen Ausgang ansteuerte. »Da kommst du zu einer Treppe. Geh rauf bis ins Erdgeschoss. Von dort kommst du durch den Ausgang auf eine Straße, die zu einer Ufermauer führt. Geh am Meer entlang. Du wirst ein großes Hotel sehen und einen Tunnel, der unter dem Hotel hindurchführt. Wenn der Weg sich gabelt, hältst du dich jedes Mal links und bleibst so dicht wie möglich am Ufer. Geh immer am Ufer entlang, und zwar langsam. Bleib nicht stehen, bis ich wieder bei dir bin.«
»Und wenn du nicht kommst?«
»Dann bin ich tot. Geh einfach immer weiter. Sprich mit niemandem, sieh niemandem in die Augen, und falls dich jemand erkennt, tu so, als wärst du ein Double.«
Noch ein Kopfnicken.
»Und ich meine es wirklich ernst, Neeva. Wenn du wegläufst oder es versuchst, tust du mir einen Riesengefallen, weil ich dich dann nicht mehr an der Backe habe, aber diese Männer fangen dich garantiert wieder ein. Wenn du versuchst, dir bei irgendjemandem Hilfe zu holen, müssen andere Menschen sterben. Du bist nicht schlauer als die, nicht schneller und nicht stärker. Ich bin dein Weg in die Freiheit. Hast du das kapiert?«
»Ja«, sagte Neeva. Langsam löste Munroe die Hände von den Schultern des Mädchens und drehte sie dabei so, dass sie ihr in die Augen schauen konnte. Sie musterte ihr Gesicht, ihr Mienenspiel, ihre Körpersprache, versuchte zu ergründen, was hinter dieser Maske vor sich ging. Erst dann ließ sie sie los. Streifte die Schuhe von den Füßen, steckte sie in den Rucksack und gab ihn Neeva. Wenn das Mädchen nach alledem immer noch fliehen wollte, dann im vollen Bewusstsein der damit verbundenen Konsequenzen, und dann hatte Munroe ein reines Gewissen.
»Wenn ich nach fünfzehn Minuten nicht wieder bei dir bin«, sagte Munroe, »bist du auf dich allein
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