Mission Munroe. Die Sekte
wenige Minuten verstrichen waren, würde es nicht lange dauern, bis sie die Verbindung hergestellt hatten. Und dann würden sie sich auf den Weg
machen. Wenn sie und Bradford Glück hatten, gab es im Haus Zimmer und Dinge, die wichtiger waren als Hannah und die sie zuerst überprüfen würden.
Hannah hatte die ersten zwei der insgesamt zehn Meter hohen Hauswand hinter sich, da klopfte es zum ersten Mal. Munroe ignorierte das Klopfen ebenso wie die unangenehme Tatsache, dass sie mit dem Rücken zur Tür stand und keine Hand frei hatte. Sie schloss die Augen und ließ den Kokon mit Hannah weiter auf Bradford zugleiten.
Das Klopfen wurde jetzt lauter, ein Hämmern, das unweigerlich die Bewohner der Nachbarzimmer aus dem Schlaf reißen musste. Bradfords Taschenlampe blitzte mehrmals kurz hintereinander auf. Auch er hatte den Lärm gehört. Munroe bremste das Seil, nahm ihre eigene Taschenlampe aus dem Mund und erwiderte das Signal.
Besuch .
Hannah war inzwischen vier Meter weit gekommen. Immer noch zu hoch, um sie fallen zu lassen. Nach wie vor kehrte Munroe der Tür den Rücken zu. Weil sie nichts sehen konnte, musste sie sich auf ihr Gehör verlassen. Jemand rüttelte an der Türklinke. Dann schnellte die Tür mit einem splitternden Geräusch nach innen.
Sie machte weiter. Fünf Meter. Die Hälfte war geschafft.
Sie blieben in der Tür stehen, und Munroe brauchte sie nicht zu sehen, um genau zu wissen, was sie taten. Lange Jahre im nächtlichen Dschungel, Spurensuche in völliger Dunkelheit, eins werden mit der Nacht, um dem schlimmsten aller Raubtiere aus dem Weg zu gehen, alles das war Vorbereitung für Augenblicke wie diesen gewesen. Sie erkannte sie am Rascheln ihrer Kleider, am Gewicht ihrer Schritte, an der Sorglosigkeit ihres Atmens.
Sie waren zu zweit, hatten sich links und rechts neben
die Tür gestellt, als könnten die dünnen Wände sie tatsächlich vor feindlichen Kugeln schützen.
Fünfeinhalb Meter.
So wie sie vor dem Fenster stand, gab sie eine erstklassige Zielscheibe ab.
Sie ließ noch etwas Seil nach.
Sechs Meter.
Einer der Eindringlinge kniete jetzt in der Tür, die Waffe auf Munroe gerichtet. Der andere schob sich ins Zimmer und stupste die Frau auf dem Boden mit der Schuhspitze an. Dann folgte die leise Aufforderung an Munroe, die Hände zu heben und sich langsam umzudrehen.
Munroe beachtete sie nicht. Sechseinhalb Meter. Bei acht Metern war Hannah weit genug unten, dass Bradford sie auffangen konnte.
Der Befehl ertönte jetzt ein zweites Mal, nicht mehr ganz so leise.
Munroe ließ noch mehr Seil ab und berechnete gleichzeitig Entfernung und Schussgenauigkeit. Aus fünf Metern war die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass auch ein mittelmäßiger Schuss ein tödlicher Treffer war. Das wäre ein wirklich tragisches Ende, aber wenn sie auf diese Weise aus dem Leben scheiden sollte, dann war es eben so. Sie würde sich nicht umdrehen, würde Hannah nicht loslassen.
Sieben Meter.
Ein Warnschuss durchschlug die Fensterscheibe über ihrem Kopf. Glassplitter regneten herab. Unten stieß Bradford einen gedämpften Schrei aus.
»Lass sie fallen«, sagte er. »Ich hab sie. Lass sie fallen!«
Siebeneinhalb Meter.
Schritte kamen durch das Zimmer.
Munroe wickelte das Laken von ihrem Unterarm, sodass es ihr langsam durch die Finger glitt. Jetzt lief das Tau mit Hannahs gesamtem Gewicht um Munroes Hüfte, kaum gebremst dadurch, dass sie es mit ihrem Körper gegen das Fensterbrett drückte.
»Mach weiter, genau nach Plan«, rief sie.
Bradfords Taschenlampe blitzte auf.
Munroe trat einen Schritt zurück. Das Laken schlug ein paarmal aus. Unten hörte sie zunächst einen dumpfen Aufprall, dann ein Stöhnen, danach nichts. Und dann fiel eine Tür ins Schloss.
Der kalte Lauf einer Waffe wurde Munroe an den Hinterkopf gedrückt. Sie hob zuerst die eine Hand, dann die andere, bis sie die Finger hinter dem Kopf verschränkten konnte.
Reifen quietschten, und Munroe sah vor ihrem geistigen Auge, wie das Taxi einen Satz nach vorn machte.
Hannah war unterwegs, und jeder Moment, jede winzige Verlängerung dieses Augenblicks war ein Beitrag zum Gelingen ihrer Flucht. Munroe empfand Erleichterung und Bedauern zugleich. Das Bedauern galt nicht ihr selbst, sondern Bradford. Was heute Nacht auch noch geschah, sie wusste aus eigener Erfahrung, welche Qualen er erleiden würde, aus Hilflosigkeit, weil er sie nicht beschützen konnte, weil er nichts anderes tun konnte, als abzuwarten. Er würde seine
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