Mit Familienanschluß
Nasenflügel.
Auch süß, dachte Wolters, wie sie so daliegt. Ab und zu läuft ein Zucken über ihr Gesicht … Ob sie träumt, daß es in unserem Ferienhaus doch eine Waschmaschine gibt?
Am Morgen verschliefen sie alle – aber sie hatten ja jetzt Zeit. Die Riviera war, wie man so sagt, greifbar nahe. Nur noch ein paar Stündchen, die diversen Pausen zur Bewunderung der Natur eingeschlossen.
Wer zum ersten Mal an die Riviera kommt, muß sich damit abfinden, daß er zunächst ganz Oberitalien durchqueren muß, falls er von München aus anreist. Nach Bozen und Mailand landet man in Genua und hat die ganze Küstenstraße vor sich, an der wie Perlen an einer Schnur die bekannten Ferienorte liegen – von Arenzano bis Ventimiglia. Diano Marina liegt so ziemlich in der Mitte.
Die errechnete Fahrzeit stimmte nicht. Wolters hatte den Fehler begangen, nur die Kilometer zu addieren, aber nicht den italienischen Straßenverkehr mit einzukalkulieren. Heillos eingeklemmt in Autokolonnen schob man sich mühsam vorwärts, zockelte hinter Tankwagen her, die man wegen des Gegenverkehrs nur mit gewagten Manövern überholen konnte, wobei das betagte Wolterssche Auto eine gewisse Asthmaanfälligkeit spüren ließ. Es war also unmöglich, hier und da noch einmal anzuhalten, um Naturschönheiten zu bestaunen und Eva davor zu fotografieren.
Wolters' Stimmung sank. Als sie von weitem zum ersten Mal das Mittelmeer gesehen hatten, war das fast ein historischer Augenblick gewesen. Wolters hatte kurz gestoppt und »Thalatta! Thalatta!« gerufen, um dann Gabi zu fragen: »Was bedeutet das?«
»Weiß nicht«, war die erwartete Antwort.
»Da sieht man es wieder: Die heutige Jugend geht ins Abitur und hat keine Ahnung von geschichtlichen Ereignissen. ›Thalatta‹ war der Ausruf von zehntausend griechischen Söldnern des persischen Thronbewerbers Kyros, der gegen seinen Bruder Artaxerxes Krieg führte, als sie nach mörderischen Märschen endlich das Meer erreichten. So beschrieben von dem großen Dichter Xenophon.«
»Muß man das wissen?« fragte Walter sauer.
»Ja! Mein Gott, ist die Allgemeinbildung im Eimer!«
Zu solchen Aufenthalten kam es nun nicht mehr. Man war froh, überhaupt weiterzukommen. Die Stunden schlichen dahin wie der Ferienverkehr. Statt nach Zitronen, wie überall beschrieben und besungen (Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n … ), roch es nach Auspuffgasen, und der Zauber dieser paradiesischen Landschaft half nicht darüber hinweg, daß man sich um Stunden verkalkuliert hatte.
Diano Marina kam in Sicht, als man – laut Plan – längst vor dem Ferienhaus sitzen und den Nachmittagskaffee trinken wollte. Wolters betätigte den rechten Blinker, fuhr auf einen kleinen Parkplatz und stieg aus.
Walter sprang aus seinem Citroën. »Was ist los?«
»Wir sind da.«
»Wir wohnen auf einem Parkplatz?«
»So was Dämliches habe ich selten gehört!« Wolters lehnte sich gegen den Kühler seines Wagens. »Ich wollte sagen: Das Ziel ist erreicht. Jetzt fahren wir zu dem Immobilienmakler, der die Vermietung vermittelt hat, und der bringt uns dann in unser schönes Domizil.«
Er überblickte seine Familie und reckte sich. »Na, wie ist der erste Eindruck? Quirliges, südländisches Leben, nicht wahr? Welche Farbigkeit! Und das blaue Meer! Das ist die Atmosphäre des laissez faire …«
»In Italien heißt das Dolce vita«, sagte Walter leichthin. »Fahren wir jetzt weiter?«
Wolters holte seine Brieftasche heraus und entnahm ihr einen Zettel. »Ermano Zaparelli, Via Antonio Marco Nummer 9. Dort bekommen wir die Hausschlüssel.«
Es war gar nicht so einfach, sich zur Via Antonio Marco durchzufragen, wenn man kein Italienisch verstand. Wenn Wolters versuchte, mit seinem Latein weiterzukommen, glotzten ihn die Leute verständnislos an und gingen dazu über, ihm mit ungeheuer plastischen Pantomimen den Weg zu erklären.
»Nur wenig ist von den Römern übriggeblieben!« sagte Wolters bitter, nachdem er mit seinem Latein gescheitert war. »Kulturniedergänge sind immer total … Man denke nur an die Phönizier.«
Nach einer halben Stunde hatte man die Via Antonio Marco Nummer 9 gefunden. Es war ein zweistöckiges, fröhliches Haus mit vielen Blumenkästen, einer Palme in einem kleinen Garten und blühenden Büschen.
Signor Ermano Zaparelli begrüßte Hermann Wolters überschwenglich wie einen heimgekehrten, lange vermißten Verwandten, umarmte ihn, küßte der Reihe nach Dorothea, Eva und Gabi, boxte Walter vor die
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