Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
und macht sich daran, mich für die Schule fertig zu machen. Zwei blaue T-Shirts – eines zum Anziehen und eines zum Mitnehmen, nur für den Fall. Zwei paar Hosen. Nie sucht sie Jeans aus. Ich beschließe, nicht zu diskutieren. Ich fürchte, heute wird kein guter Tag werden.
»Was für ein tolles Foto von dir! Ich werde noch ein paar zusätzliche Zeitungsausgaben besorgen«, schwatzt sie gut gelaunt, während sie meine Socken gerade zieht und mir dann meine Schuhe überstreift. »Ich werde es jedem auf der Arbeit zeigen.«
Dad hat Penny fertig angezogen und bringt sie in mein Zimmer. Als Penny mein Bild in der Zeitung sieht, lässt sie Karli fallen und ruft: »Didi!« Sie hebt die Zeitung auf und küsst sie.
Ich wette, dass ich nicht viele derartige Reaktionen in der Schule kriegen werde.
Dad beugt sich zu mir und küsst mich auf die Wange. »Ich könnte vor Stolz platzen«, sagt er leise. »Ich liebe dich, Melody.«
Mir treten die Tränen in die Augen. Ich wünschte, ich könnte nur einmal meine kleine Schwester in die Arme schließen oder Dad sagen, dass ich ihn auch liebe. Mit richtigen Worten, nicht durch eine Maschine.
In der Schule ernte ich genau die Reaktion, die ich erwartet hatte. Lippen sagen mir nette Worte, aber die Augen sprechen die Wahrheit. Die Augen sind kalt, als hätte ich der Reporterin eins über den Schädel gezogen und sie gezwungen, dieses Bild von mir zu drucken.
Sogar Rose verhält sich distanziert. »Nettes Bild von dir in der Zeitung, Melody«, sagt sie.
»Danke. Es hätte eins von uns allen sein sollen.«
»Das finde ich auch«, antwortet Rose.
Ich seufze bloß.
Nichts kann ich richtig machen. Ich will das alles nicht – ich will einfach nur wie alle anderen sein.
Als es Zeit für Mr Dumings Unterricht ist, stiefelt er mit
noch
einem funkelnagelneuen Anzug – wahrscheinlich gab es zwei zum Preis von einem im Schlussverkauf – und einem funkelnagelneuen Lächeln in die Klasse. Er sieht aus, als würde er gleich vor Glück platzen. Er bringt einen Stapel Morgenzeitungen mit.
»Gestern Nacht konnte ich überhaupt nicht schlafen«, gesteht er uns. »Ich bin
sehr
stolz auf unser Team und unsere Schule!«
Er macht eine Pause, während die Klasse das Quizteam bejubelt. Rose, Molly und Claire lächeln glücklich. Connor und Rodney verbeugen sich. Ein paar Kinder drehen sich sogar um und lächeln mich an.
»Kriegen wir Pizza oder so zur Belohnung?«, platzt Connor heraus.
»Auf jeden Fall!«, antwortet Mr Duming. »Die Schulleiterin hat den nächsten Freitag zum Quizteamtag erklärt. Die ganze Schule kriegt Pizza und Limonade!«
Mehr Jubel in der Klasse. Connor sieht richtig zufrieden aus.
Mr Duming fährt fort. »Außerdem möchte ich Melody ganz offiziell meinen besonderen Dank aussprechen. Sie hat einen wesentlichen Teil zu unserem Sieg beigetragen! Eine Runde Applaus für Melody!«
Er beginnt zu klatschen und die Klasse tut es ihm gleich, aber es wirkt eher höflich als ehrlich. Wahrscheinlich bin ich nicht so cool wie Pizza.
»Wer hat gestern Abend die Elf-Uhr-Nachrichten gesehen?«, fragt Mr D., immer noch strahlend.
Etwa die Hälfte der Kinder meldet sich. Ich hatte sie verpasst – als wir zu Hause waren, bin ich vor lauter Erschöpfung eingeschlafen.
»Ich habe sie aufgenommen und auf Myspace gestellt!«, verkündet er aufgeregt. »Aber jetzt müssen wir uns wieder unserem regulären Unterricht zuwenden.« Er klingt enttäuscht.
»Aber wie bereiten wir uns auf Washington vor?«, fragt ihn Rose und will ihn offenbar nicht mit der Stunde anfangen lassen.
Lehrer sind
so
leicht abzulenken! Ich wusste, dass er anbeißen würde.
Mr Duming lächelt wieder und holt tief Luft. »Wir haben nur zwei Wochen, um uns vorzubereiten, Rose. Ich habe für jeden meiner Team-Champs eine Mappe zusammengestellt«, sagt er, während er die Blätterstapel austeilt. »Nehmt sie mit nach Hause und bringt sie morgen unbedingt wieder mit. Darin befinden sich Informationen zum Einlösen der Freiflugtickets, Details zu unserem Hotel und Tagespläne mit Programmpunkten für die Zeit, die wir in D. C. sind. In der Mappe findet ihr auch einen Stundenplan mit Einzelheiten zu unseren Übungsstunden. Wir fangen heute an und werden uns jeden Tag nach der Schule treffen sowie einen halben Tag am Samstag.«
»Samstag?«, fragt Connor mit ungläubiger Stimme.
Darüber mache ich mir auch Sorgen. Einen ganzen halben Tag? Wenn Catherine nicht kommen kann, wie gehe ich dann aufs Klo oder
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