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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Knochenrichter Zweige und Blätter um zertrümmerte Glieder befestigt, aufgeschlagene Köpfe in Palmwedel wickelt, bis seine Patienten beginnen, künstlichen Bäumen zu ähneln, und aus ihren Verletzungen Pflanzenwuchs sprießt ... dann hinaus auf ein weitläufiges zementiertes Flachdach. Amina, die im Dunkeln gegen die Helligkeit der Laternen blinzelt, macht auf dem Dach wahnsinnige Gestalten aus: tanzende Affen, springende Mungos, Schlangen, die sich in Körben winden, und auf dem Geländer die Silhouetten großer Vögel, deren Körper genauso gekrümmt und grausam sind wie ihre Schnäbel: Geier.
    «Arré baap», schreit sie, «wohin bringen Sie mich?»
    «Kein Grund zur Sorge, Begum, bitte», sagt Lifafa Das. «Das sind meine Vettern hier. Meine Vettern Numero drei und vier. Der eine lässt Affen tanzen ...»
    «Ich übe gerade, Begum!», ruft eine Stimme. «Sehen Sie: Der Affe zieht in den Krieg und stirbt für sein Land!»
    «... und hier ist der Schlangen- und Mungomann.»
    «Sehen Sie den Mungo springen, Sahiba! Sehen Sie die Kobra tanzen!»
    «... Aber die Vögel ...?»
    «Haben nichts zu sagen, Madam: bloß, hier in der Nähe ist der
parsische Turm des Schweigens, und wenn es dort keine Toten gibt, kommen die Geier. Jetzt schlafen sie; tagsüber sehen sie, glaube ich, meinen Vettern gern beim Üben zu.»
    Ein kleines Zimmer am anderen Ende des Daches. Licht strömt durch die Tür, als Amina eintritt ... und drinnen einen Mann im gleichen Alter wie ihr Ehemann vorfindet, einen schweren Mann mit mehreren Kinnen, der eine fleckige weiße Hose und ein rot kariertes Hemd und keine Schuhe anhat, der Anissamen knabbert und aus einer Flasche Vimto trinkt und mit gekreuzten Beinen in einem Zimmer sitzt, an dessen Wänden Bilder von Wischnu in allen seinen Verkörperungen und Anschläge hängen, auf denen steht SCHREIBUNTERRICHT und SPUCKEN WÄHREND DER VISITE IST EINE GANZ SCHLECHTE ANGEWOHNHEIT Möbel gibt es nicht ... und Shri Ramram Seth sitzt mit gekreuzten Beinen zehn Zentimeter über dem Boden.
    Ich muss es gestehen: Zu ihrer Schande kreischte meine Mutter gellend auf...
    ... Während im Alten Fort Affen zwischen den Wällen kreischen. Die Ruinenstadt, von Menschen verlassen, ist nun der Wohnort von Languren. Langgeschwänzt und schwarzgesichtig, sind diese Affen von einem überwältigenden Sendungsbewusstsein beherrscht. Hochhochhoch klettern sie, springen auf die höchsten Erhebungen der Ruine, grenzen ihre Gebiete ab und widmen sich dann Stein um Stein dem Abbruch der gesamten Festung. Padma, es ist wahr: Du bist nie da gewesen, hast nie im Zwielicht gestanden und beobachtet, wie die sich abrackernden, unbeirrbaren pelzigen Wesen die Steine bearbeiten, ziehen und schaukeln, schaukeln und ziehen, einen Stein nach dem anderen losmachen ... jeden Tag lassen die Affen Steine die Mauern hinabrollen, sie an Kanten und Vorsprüngen abprallen und krachend in den Gräben unten aufschlagen. Eines Tages wird es kein Altes Fort mehr geben; am Ende wird es nichts als einen Haufen Geröll geben, bekrönt von Affen, die triumphierend kreischen ... und hier hastet gerade ein Affe die
Wälle entlang. Ich werde ihn Hanuman nennen, nach dem Affengott, der Prinz Rama half, den eigentlichen Ravana zu besiegen, Hanuman mit den fliegenden Streitwagen ... Beobachten Sie nun, wie er an seinem Türmchen – seinem Gebiet – ankommt; wie er von Ecke zu Ecke seines Königreichs hüpft, schnattert, läuft, sein Hinterteil an den Steinen reibt, dann innehält, etwas erschnüffelt, was nicht hier sein sollte ... Hanuman rast zu der Nische hier auf dem obersten Treppenabsatz, in der die drei Männer drei weiche graue fremdartige Dinger hinterlassen haben. Und während Affen auf einem Dach hinter dem Postamt tanzen, tanzt der Affe Hanuman vor Wut, fällt über die grauen Dinger her. Ja, sie sind lose genug, er braucht nicht viel zu schaukeln und zu ziehen, zu ziehen und zu schaukeln ... beobachten Sie Hanuman nun, wie er die weichen grauen Steine zur Kante der steil abfallenden Außenmauer des Forts schleppt. Sehen Sie, wie er daran reißt: ritsch! ratsch! ... Sehen Sie, wie gewandt er Papier aus dem Inneren der grauen Dinger schaufelt und es in Strömen herunterregnen lässt, damit es die hinabgefallenen Steine im Graben umhülle! ... Papier fällt mit träger, zögernder Anmut, versinkt wie eine schöne Erinnerung im Schlund der Dunkelheit; und nun Tritt! plumps! und noch einmal Tritt! fliegen die drei weichen grauen Steine

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