Mitternachtslöwe (German Edition)
Sophia die Glieder sich immer weiter zusammen ziehen. Vitus' Stuhl geriet ins Wanken und kippte schließlich hinten über. Sofort löste sich sein stählernes Halsband. Das Ende der Kette fiel ihm aus der Hand. Das war die Gelegenheit.
Geistesgegenwärtig trat Sophia das lose Ende der Kette bei Seite. Doch trotz seiner Größe und der schweren Rüstung war Vitus flinker, als Sophia angenommen hatte. Flugs stand er wieder auf den Beinen, riss die Kette an sich und lies Sophia mit einem Rück zu Boden gehen. Sie krachte mit dem Kopf auf den harten Bretterboden. Sophia wollte aufstehen, um wieder zu attackieren, doch sie konnte kein klares Bild erfassen. Verschwommene Schatten huschten durch den Raum. Undeutlich sah sie, wie einer von ihnen langsam auf sie zu trat.
»Du bist wirklich ein harter Brocken«, sagte Vitus, wobei er sich den Hals rieb.
Sophia merkte nur noch, wie er sie packte und davon schliff. Für einen kurzen Moment war ihr, als könne sie einen vereinzelten Stern hoch oben am Himmel erblicken. Ganz kurz funkelte er auf, bevor ihn die Schwärze, die ihn umgab, wieder verschluckte.
Eine Tür wurde geöffnet und Sophia grob hindurch geworfen.
»Morgen früh wirst du mit zusehen wie deine Freunde verfüttert werden! Mal sehen, ob du dann immer noch so kämpferisch bist!«, schrie Vitus und knallte die Tür zu.
Selbst hier drin hatte sich der üble Geruch, welcher über dem gesamten Lager hing, breit gemacht. Ungeachtet dessen verschnaufte Sophia und atmete tief durch. Töpfe, Pfannen und andere Kochutensilien hingen von der Decke. Neben ihr ragte ein gigantischer, brauner Berg aus Erdäpfeln hervor. Es war der kleine Schuppen in den man sie schon einmal gesperrt hatte, um Kartoffel für die hungrigen Männer des Regimes zu schälen. Nur durch einen winzigen Spalt in einer der Bretterwände schien ein bisschen Licht hinein. Es kam vom Lagerfeuer um das die Federmäntel saßen, lautstark grölten und sich dem Rausch aus Rum hingaben.
Urplötzlich raschelte etwas neben Sophia. Sie lauschte. Keine Maus, etwas größeres.
»Hallo?«, fragte Sophia zögernd in die Dunkelheit hinein.
Keine Antwort.
Sophia kniff die Augen zusammen, um irgendwas zu erkennen, da polterten ein paar Töpfe über den Boden.
»Wer ist da? Komm raus und zeig dich. Abaris... Byrger?«
Ein leises Schluchzen klang durch den kleinen Schuppen. Behutsam nährte sich Sophia der Richtung aus der das Geräusch kam. In der entlegensten Ecke des Schuppens saß zusammengekauert ein kleines Kind und weinte.
»He«, sagte Sophia mit ruhiger Stimme, »was ist denn los?«
Doch das Schluchzen und Weinen hörte nicht auf.
»Hab keine Angst, ich tue dir nichts. Ich gehöre nicht zu denen.«
Sophia streckte vorsichtig die Hand aus, um sie dem Kind zur Beruhigung auf die Schulter zu legen. Mit einen Mal fiel das Kind Sophia um den Hals. Sophia erschrak zunächst doch entspannte sich sofort wieder. Alles was das Kind wollte, war Schutz in ihren Armen suchen. Sophia erwiderte die Geste und drückte es liebevoll an sich. Bäche aus Tränen ergossen sich aus den kleinen Augen, die Sophias Schulter im Nu durchnässten.
»Jetzt komm erstmal aus der Ecke raus, du musst dich nicht verstecken.«
Sophia nahm zwei der größeren Töpfe und stellte sie mit der Öffnung nach unten auf den Boden, sodass sie sich darauf setzten konnten. Sie strich dem Kind die zerzausten und von Tränen getränkten Locken von den Wangen. Darunter verbarg sich das Gesicht eines kleines Mädchens. Wie Perlen glitzerten ihre Tränen im fahlen Lichtschein, als sie, eine nach der anderen, der Kleinen vom Kinn tropften. Ihr Gesicht war ganz schmutzig, genauso wie ihr Kleid, welches zerrissen und von zahlreichen Flecken übersät war.
»Ich bin Sophia. Und du? Du hast doch sicher auch einen Namen, oder?«
»Maria«, antwortete das Mädchen mit schluchzender Stimme.
»Was ist denn passiert, Maria? Warum weinst du denn so?«
Doch das Mädchen antwortete nicht. Sie weinte nur.
»Wo sind deine Eltern? Sind sie hier irgendwo?«
»Die sind tot«, antwortete Maria kühl, schon fast gefühllos, dass Sophia ein kalter Schauer den Rücken hinunter kroch.
»Tut mir leid«, sagte Sophia und nahm Maria fest in den Arm.
Das kleine Mädchen drückte sich fest an sie. »Kommt der böse Mann nochmal wieder?«, fragte die Kleine.
»Ich weiß es nicht«, sagte Sophia, »Hab keine Angst, er wird dir nichts tun. Dafür sorge ich.« Liebevoll streichelte Sophia Maria über den Kopf.
Schon
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