Mitternachtsschatten
reagiert, wenn er sich bedroht fühlt.“
Dean lachte. „Glauben Sie es oder nicht, aber ich weiß ganz genau, wozu mein Vater in der Lage ist. Es wäre allerdings klug von ihm, mich nicht zu unterschätzen. Ich habe die gleichen unbarmherzigen Gene in mir wie er. Zu schade, dass Jilly und Rachel-Ann sie nicht geerbt haben. Das würde ihr Leben bestimmt einfacher machen.“
„Wie könnte Rachel-Ann wohl die Gene Ihres Vaters erben? Ich denke, sie ist adoptiert.“
Deans Grinsen war selbstgefällig und geheimnisvoll. „Natürlich. Manchmal vergesse ich das. Also, Dinner heute Abend, Coltrane! Ich verspreche Ihnen, es wird sehr unterhaltsam.“
Wahrscheinlich weiß Dean alles, dachte Coltrane und starrte ihn an. Zumindest alles über Rachel-Ann. Hatte er eine Ahnung, dass er ihr Bruder war?
„Ich freue mich schon“, sagte er kühl. „Wissen Sie, wo Jilly hingefahren ist?“
Dean schüttelte den Kopf. „Sie könnte überall sein. Es ist Samstag, sie muss nicht arbeiten. Wie ich sie kenne, ist sie bestimmt ans Meer gefahren. Das tut sie immer, wenn sie nachdenken will. Warum interessiert Sie das? Sie ist doch gar nicht Ihr Typ. Ich dachte, Sie sind hinter Rachel-Ann her.“
Also wusste er doch nicht alles. „Ich bin hinter gar niemandem her, Dean“, antwortete er gelangweilt. „Ich bin nur neugierig.“
„Selbstverständlich, Coltrane. Was fangen Sie mit Ihrem freien Tag an? Oder hat Jackson schon Pläne für Sie gemacht?“
„Ich dachte, ich könnte ein paar Klempnerarbeiten übernehmen.“
Dean sah ihn an, als habe er gesagt, dass er einen Massenmord plante. „Klempnerarbeiten?“ wiederholte er ungläubig.
„Eines meiner vielen Talente. Solange ich hier wohne, wäre es nett, ein funktionierendes Waschbecken und eine Dusche zu haben.“
„Ich sagte Ihnen doch, Sie können mein Badezimmer benutzen. Das alles selbst zu reparieren erscheint mir ein wenig übertrieben.“ Ihn schauderte allein bei dem Gedanken.
„Dann bin ich für heute wenigstens beschäftigt. Sie würden sich wundern, was für Talente ich habe, Dean.“
„Das glaube ich sofort. Ich frage mich schon die ganze Zeit, welche Überraschungen Sie noch auf Lager haben“, sagte er sanft.
Die beiden misstrauten sich, und sie deckten es mit einer Schicht Charme zu.
„Man weiß nie“, antwortete Coltrane.
Jilly hatte diesen Teil des Strandes schon immer geliebt, fast ebenso sehr wie Roofus, der über den Sand raste, in die Luft hüpfte und übermütig Möwen jagte. Einen Moment lang war Jilly in der Lage zu lächeln. Es war ein kühler Tag, der Wind peitschte über die Brandung, und die wenigen hartgesottenen Surfer sahen nicht so aus, als hätten sie wirklich Spaß. Sie zog die Schuhe aus und lief barfuß im feuchten Sand weiter. Sie war kurz davor, sich sämtliche Kleider vom Leib zu reißen und ins Meer zu springen, in der Hoffnung, der kalte Pazifik würde all ihre Probleme von ihrem Körper spülen …
Nein, sie durfte erst gar nicht darüber nachdenken. Verleugnen war manchmal ganz sinnvoll, heute war einer dieser Tage. Sie nahm sich vor, meilenweit am Strand entlang zu spazieren, Roofus dabei zuzusehen, wie er ausgelassen herumtollte, und ansonsten nur darüber nachzudenken, was für ein klarer, wunderschöner Tag heute war. Sie musste dieses unangenehme Gefühl, das sie tief in ihrem Magen spürte, einfach ignorieren, den seltsamen Schmerz in der Brust. Die verstörenden Erinnerungen, die Hitze in ihrem Körper …
Verdammt und zugenäht! Sie hatte doch nicht einmal mit ihm geschlafen. Was zwischen ihnen gewesen war, nannte sich Petting, und es handelte sich um einen Unfall. Sie hatte zu viel getrunken und hätte wissen müssen, dass jemand wie Coltrane das gnadenlos ausnutzen würde. Es war eine Tatsache, dass, je länger man auf Sex verzichtete, man ihn umso weniger brauchte. Bis irgendjemand plötzlich wieder den Motor startete. Ihrer war sogar sehr jäh gestartet worden, und sie konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken. An ihn zu denken. Sie wollte ihn nie mehr wiedersehen. Schon wenn sie nur daran dachte, mit ihm in einem Zimmer zu sein, wurde ihr übel. Sie konnte wohl kaum darauf vertrauen, dass er sich wie ein Gentleman benehmen und für sich behalten würde, was geschehen war.
Jilly hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Wie wäre es, wenn sie einfach mal für ein paar Tage nach Berkeley führe und Margie und ihren Mann besuchte? Oder ihre alte Freundin Christie in San Diego? Es war ja nicht so,
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