Mörderische Lust: Erotischer Thriller (German Edition)
schwerwiegend der Missbrauch war. Die Auswirkungen gehen bis hin zu organischen Veränderungen, unter anderem zu Hirnveränderungen.“
„Hirnveränderungen?“ frage ich ganz verdutzt.
„Ja durchaus, Frau Fenske. Ein Kindesmissbrauch kann die neurale Struktur und Funktion des reifen Gehirns auf Dauer schädigen. Aus der neuesten Gehirnforschung wissen wir, es besteht ein Zusammenhang zwischen einer früheren Misshandlung oder einem Missbrauch und einer Verkleinerung des erwachsenen Hippocampus.“
Ich denke zurück an den Biologieunterricht. Der Hippocampus ist, soweit ich mich entsinnen kann, die Region im Gehirn, die als zentrale Schaltstation für die Bildung und Wiedergewinnung verbaler und emotionaler Gedächtnisinhalte verantwortlich ist und zählt zu den evolutionär ältesten Strukturen des Gehirns. Ich konnte mir das besonders gut merken, denn mein Lehrer hat damals recht bildlich erklärt, dass, im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Irrtum, der Hippocampus beim Menschen eben nicht wie ein Seepferdchen aussieht, sondern annähernd wie ein Huf. So stammt der Name auch nicht von dem Fisch, mit einem pferdeähnlichen Kopf, dem Seepferdchen, das auf Lateinisch Hippocampusheißt, sondern von einem Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie. Dessen vordere Hälfte etwa bis zur Hüfte ein Pferd, der hintere Teil ein Fisch ist. Dazu muss man natürlich wissen, dass auf altgriechisch „hippos“ Pferd bedeutet und „kampos“ Seeungeheuer. Das Ende des Hippocampus hat wohl mit den Flossen dieses sagenhaften Ungeheuers eine Ähnlichkeit.
Der Zusammenhang zwischen einer Misshandlung und dieser Schaltstation im Gehirn ist mir schleierhaft. Bevor ich weiter fragen kann, tut dies David, als ob er meine Gedanken lesen könnte.
„Es leuchtet mir ein, wenn jemand eine Schädigung erleidet durch einen Schlag auf den Kopf. Aber wie kann ein traumatisches Erlebnis eine hirnorganische Veränderung bewirken, wenn das Gehirn gar nicht direkt tangiert wird?“
„Nun, ich verstehe durchaus, dass dies zunächst einmal seltsam erscheint. Es lässt sich aber folgendermaßen erklären: Es treten physiologische Schutzmechanismen im Körper auf. Beispielsweise ist nachgewiesen, dass der Adrenalinspiegel bei Vergewaltigungsopfern erhöht ist. Auch wird die Blutzufuhr im Gehirn gestört, was zur Folge hat, dass die Verbalisierung des Geschehenen nicht möglich ist. Wenn eine heftige Bedrohung im Gehirn ankommt, dann wird das Furchtzentrum, oder wie es im Lateinischen heißt Amygdala, aktiviert. Es wird mit körpereigenem Kortison überschwemmt, während die ordnende Kraft des Hippocampus blockiert wird. Das Gehirn ist überfordert und kann nicht auf gewohnte Weise arbeiten.“
Ich denke kurz darüber nach, bis ich nachfrage.
„Das heißt, es führt zu irgendwelchen Störungen?“ „Ja, Frau Fenske“, antwortet die Psychologin und lächelt.
„Sehen Sie, normalerweise wird das Erlebte durch Assoziationen mit anderen, schon gemachten Erfahrungen verglichen und bearbeitet, dann mit Sprache versehen und im Langzeitgedächtnis gespeichert. Dadurch ist es so dem bewussten Erinnern zugänglich. Traumatische Reize hingegen werden nicht ganzheitlich gespeichert. Also nicht als eine erlebte Geschichte mit Anfang und Ende. Auch nicht mit klarem Ablauf und in Worte gefasst abrufbar, sondern bruchstückhaft.“
„Hm“, sagt David nachdenklich.
„Ist das so zu verstehen, wie wenn jemand nach einem Autounfall sich in einem Schockzustand befindet und nur bestimmte Sachen wiedergeben kann, beispielsweise eine bestimmte Farbe?“
„Im Grunde genommen hast du recht, David. Das normalerweise stimmige Entstehen von Erinnerungsbildern im Hippocampus wird blockiert und das emotionale Gedächtnis in der Amygdala wird von anderen Gedächtniszentren abgetrennt. Durch diese Spaltung werden die affektiven Erlebnisinhalte nicht bearbeitet, sondern bleiben eins zu eins bis zum Lebensende in ihren neuronalen Zentren eingraviert.“
„Bis zum Lebensende?“
„So ist es. Alle Affekte und Emotionen, die durch das traumatische Ereignis aktiviert werden, prägen sich im Furchtzentrum ein. Dadurch wird ein ständiger Erregungsherd im Organismus hinterlassen, der zu einer immer wieder auflaufenden Übererregung der Betroffenen führt.“
„Wie soll ich diese Übererregung verstehen?“
„Nun, sicherlich ist es von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Aber oft wird die Übererregung als ein ständiges Anspannungsgefühl empfunden. Diffuse
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