Mörderisches Musical
überall gesucht. Ich hatte Angst, du wärst schon weg, und ich
will dir doch noch meinen neuen Entwurf für das Finale...«
Eine Bohnenstange von Frau mit orange gefärbtem
Haar und kalkweißem Make-up, die hohlen Wangen unvorteilhaft durch dunkles
Rouge betont, stand an der Tür zur Halle des Edison und stützte eine
riesige schwarze Mappe mit dem Knie.
Carlos verdrehte die Augen. »Entwurf Nummer
fünf. Mir gefällt der erste immer noch. Ich sage ihr immerzu, daß mir der erste
gefällt. Er gefällt Mort am besten. Allen andern auch. Wir haben den ersten
ausgeführt. Am Samstag ist Premiere, um Himmels willen. Eine Übung in
Selbstbefriedigung ist das.« Er stand auf und ging auf sie zu. »Schatz«,
begrüßte er sie gedehnt, und sie küßten sich umständlich.
»Wer ist das?« fragte Silvestri Wetzon.
»Kostüme. Peg Button.« Wetzon schaute auf die
Uhr. Zwanzig nach fünf. In einer Viertelstunde mußte sie ein Taxi finden.
»Button? Wie der Knopf? Und Kostüme?« Er
musterte sie argwöhnisch.
»Ehrlich.« Sie grinste ihn an und faltete die
Hände im Schoß, weil diese über den Tisch langen und ihn berühren wollten.
»Sie wird wohl auch ein Motiv haben?« Er trug
Pegs Namen in sein Notizbuch ein.
»Wahrscheinlich.«
»Les, wie geht es?« Der eindringliche Ton zwang
sie, ihm in die Augen zu sehen.
Sie zog die Schultern hoch. Am liebsten hätte
sie den Kopf an seine Brust gelegt.
Er rutschte auf seinem Stuhl vor, so daß sich
ihre Knie berührten. »Du bist so verdammt widerspenstig. Von niemandem läßt du
dir helfen.«
»Ich verspreche dir, daß ich mit jemandem
spreche. Ich weiß sogar schon, mit wem.«
»Als erstes morgen?«
»Heute abend, wenn sie mich noch unterbringt.«
Seine Hände streiften fast ihre Knie. »O Gott.« Sie schloß die Augen. Soviel
Hitze stand zwischen ihnen, daß sie beinahe zusammenschmolzen.
Silvestri legte kurz seine Hand auf ihr Knie,
dann stand er auf und ging auf Carlos und Peg Button zu. Wetzon schaute zu, wie
sie sich vorstellten. Einer plötzlichen Eingebung folgend stand sie auf und
setzte sich neben Sam an die Theke. Die Schüssel mit rötlicher Kohlsuppe rechts
neben ihm war kaum angerührt.
Er sah sie aus blutunterlaufenen Augen an. »Wie
geht die Welt mit dir um, schöne Leslie?«
»Ich kann nicht klagen, Sam. Deine Partitur ist
prima.«
»Danke vielmals.« Er kratzte sich am Rinn.
»Der Bart steht dir sehr gut.«
Damit hatte er nicht gerechnet. »Meinst du
wirklich? Falls die Show ein Hit wird, wollte ich ihn abrasieren.« Er wandte
das Gesicht von Wetzon ab und sagte: »Ich brauche diese Show, Leslie, oder ich
bin tot.«
Sie empfand eine abgrundtiefe Traurigkeit. Sam
war so lieb, lustig, so nett zu ihr gewesen, aber das war lange her. »Sam, die
Show wird ein großer Hit.« Sie lächelte ihn an. »Und Carlos behauptet, ich bin
eine Hexe, also solltest du lieber daran glauben. Ich komme sogar nach Boston
rauf, damit es bestimmt klappt.« Seine Schreibhemmung, sein Versagen waren ihm
vertraut geworden, etwas, woran er sich festhalten konnte. Wie würde er diesmal
mit einem Erfolg zurechtkommen?
»Trinken wir dann auf unser Wiedersehen,
Schatz?«
»Ganz bestimmt.« Sie sah, daß Silvestri mit Peg
Button wegging. Er schaute sich nicht um.
Sie tätschelte Sams Hand und ging wieder zum
Tisch, wo Carlos es sich schon bequem gemacht hatte. »Jeder ist ein
Verdächtiger«, sagte sie.
»Hör zu, Herzblatt, wir sind jetzt praktisch die
gesamte Theaterwelt. Mort, Sam, Aline und ich. Genauso Peg. Wie viele von uns
sind noch übrig? Und wo ist die nächste Generation? Wo sind die Cole Porter,
die Jerry Robins, die Hammerstein, die Rodgers, die Loesser, die Fosse?« Er nahm
ihre Hand in seine.
»Ich weiß.« Sie beugte sich vor und küßte ihn
auf die Wange. »Hat dir gefallen, was Peg dir gezeigt hat?«
»Nein. Am allerwenigsten will ich Kostüme, die
sich bewegen. Es ist schlimm genug, daß ich mit Darstellern arbeiten muß, die
das nicht können.«
»Was ist los mit dir, Carlos? Sprich offen mit
mir.«
Er zog arrogant eine Augenbraue hoch und legte
den Kopf in den Nacken, um sie anzusehen. »Schatz, das ist kaum möglich.« Der
große Diamantknopf in seinem rechten Ohrläppchen fing das Licht auf und blinkte
sie an.
»Versuch nicht, dich herauszumogeln. Irgend
etwas stimmt nicht, das weiß ich, und es ist nicht bloß Dilla. Ist zwischen dir
und Arthur alles in Ordnung?« Sie unterbrach sich, dachte das Schlimmste. »Es
ist nicht...«
Carlos legte den
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