Möwenspur
auch in der Provinz konnte man
kriminalistisch denken.
„Aber Marc, es könnte doch sein, dass wir Spuren von
den anderen beiden Toten in dem Wagen finden. Dann
hätten wir wenigstens ein Indiz, dass sie auch in dem
Auto von Peguez gesessen hatten.
„Klar,“ sagte Marc, „eine dumme Frage von mir. Ich
glaube, der Urlaub tut mir nicht gut, mein kriminalistischer Instinkt kommt mir abhanden. Hoffentlich finden
wir eine Kleinigkeit, dann wäre der Fall doch schneller
beendet als wir dachten. Nur…“, Marc zögerte einen
Augenblick bevor er fortfuhr, „…nur, warum begeht
diese Frau den letzten Mord, unterstellen wir ihr, dass es
einer war, so dilettantisch, dass wir sie sofort festnehmen
können? Wer so geplant vorgeht, der macht doch nicht in
letzter Minute einen solchen Fehler.“
„Marc, das ist die Frage die wir klären müssen. Ich gehe
beinahe sicher davon aus, dass wir in ihrem Wagen keine
Spuren der anderen Toten finden werden. Wenn sie es
war, dann hat sie bestimmt versucht alle Spuren zu entfernen. Aber manchmal findet sich dennoch etwas. Es ist
ja sehr schwer alle Spuren zu beseitigen.“
„Was für ein Motiv könnte die Frau haben, die Vergewaltiger umzubringen?“ Marc hatte laut gedacht
aber Ewen nahm die Frage auf.
„Vielleicht stand sie dem Opfer der Vergewaltigung,
dieser Sylvie Nicot nahe. Ich habe, bevor du angerufen hast einmal den Namen Peguez überprüfen lassen.
Er steht in keiner Akte und ist auch nicht mit einer
Straftat in Verbindung zu bringen, weder als Zeugin
noch als Verwandte oder Bekannte. Wenigstens steht
nichts davon in den Unterlagen.“
„Was ist mit unserem zweiten Motiv, die Sache mit
der schlechten Beratung der Bank Villatte, die wir
schon beinahe vergessen haben. Immerhin haben zwei
der Toten in dieser Bank gearbeitet. Haben wir es mit
zwei Motiven zu tun, zwei Täter, zwei Motive? Wir
sollten auch überprüfen, ob sich eine Verbindung zu
Lescop oder zur Bank Villatte ergibt.“
Marc Louvin hatte eine ältere Variante der Vermutungen in die Diskussion eingeführt. Vor einigen Tagen
war man sich sicher gewesen, es handele sich um die
Vergewaltigung und nicht um einen Racheakt wegen
einer schlechten Geldanlage. Immerhin haben alle vier
Männer etwas mit der Vergewaltigung zu tun. In die
Bankgeschichte waren nur zwei involviert. Wenn man
Robert Le Floch mit seiner Tätigkeit bei einer Investmentfirma einbezieht, dann waren allerdings schon
drei in der Geldbranche tätig. Marc teilte Ewen seine
Gedankengänge mit, die dieser nun auch in seine weiteren Überlegungen einbezog.
Marc Louvin verabschiedete sich von seinem Kollegen und sagte, dass er morgen spätestens um neun
Uhr bei ihm sein werde.
*
Gerard Martinou saß mit einem Glas Pomerol und einem Buch im Wohnzimmer und wartete dort auf Marc.
Als er ins Zimmer trat, sah Gerard von seinem Buch auf
und hob sein Glas.
„Da drüben auf dem Tisch steht ein Glas für dich, die
Flasche steht neben mir, bediene dich bitte.“
„Danke Gerard!“ sagte Marc und nahm sich das Glas
vom Tisch. Als er neben seinem Freund stand und
sich den Wein einschenkte, sah er auf die Abbildung
in dem Buch das Gerard gerade las. Es zeigte eine
Vergewaltigungsszene.
„Was liest du denn da?“ fragte er ihn.
„Ein
Buch
über
Obsessionen
und
ihre
psychologischen Hintergründe. Ein sehr interessantes Werk eines
Kollegen den ich noch im Studium kennengelernt hatte.
Der Mann ist heute Professor für Psychologie an der
Sorbonne in Paris und hat inzwischen einige interessante
Theorien über die Hintergründe von Sexualtätern entwickelt. Wieso kommt es zu Vergewaltigungen? Woher
kommt Voyeurismus? Was steckt hinter Fetischismus?
Und vieles mehr.
Er geht aber auch der Frage nach, wie die Opfer von
Verbrechen, wie zum Beispiel einer Vergewaltigung mit
dem Geschehen umgehen. Wusstest du, dass Frauen die
ihre Vergewaltiger kannten, zum Beispiel Freunde, Familienmitglieder oder Nachbarn, sich häufig eine Mitschuld an dem Geschehenen geben, während Frauen
denen die Vergewaltiger unbekannt waren eher bereit
waren eine Tat anzuzeigen und die Schuld eindeutig bei
dem Vergewaltiger zu suchen. Bei einer Vergewaltigung, so schreibt er hier, sind in der Regel keine Zeugen
anwesend, so dass bei der Frage, ob überhaupt ein solches Delikt stattgefunden hat, in vielen Fällen die Aussage der Frau gegen die Aussage des Mannes steht. Daraus ergeben sich die Probleme, die die Opfer haben ihre
Glaubwürdigkeit zu belegen, vor allem die Behauptung
des Zwanges zum
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