Mona Lisa Overdrive
Aber der Impuls hatte sich mittlerweile wieder gelegt, und ihr fehlte die Stirn, ihm von Grande Brigitte und der Droge im Anorak zu erzählen.
»Prima«, sagte er. »Ist doch prima, Missy.«
Der Lear ging tiefer über Ohio. Porphyre starrte an die Wand, regungslos wie eine Statue. Angie schaute hinunter aufs weite Wolkenfeld, das ihnen entgegenkam, und dachte an das Spiel, das sie als Kind gern in Flugzeugen gespielt hätte, wobei sie eine imaginäre Angie ausschickte und wunderbar feste Wolkenschluchten und flaumige Gipfel erklimmen ließ. Diese Flugzeuge hatten wohl Maas-Neotek gehört. Vom Maas'schen Jet war sie in den Lear von Net umgestiegen.
Kommerzielle Linienflugzeuge kannte sie nur von Dreharbeiten für ihre Stims: von New York nach Paris beim Jungfernflug der restaurierten JAL-Concorde mit Robin und einer Gruppe von handverlesenen Net-Leuten.
Tiefer. Waren sie schon über New Jersey? Hörten die spielenden Kinder auf den Flachdächern von Beauvoirs Arcologie den Motor der Lear? Streifte das ferne Dröhnen der Maschine die Wohnsilos aus Bobbys Kindheit? Wie unvorstellbar verflochten die Welt doch war in rein
mechanischen Details, wenn Sense/Nets Firmenjet winzige Knöchelchen in den Ohren
unbekannter, unwissender Kinder erschütterte ...
»Porphyre weiß allerhand«, sagte er ganz leise. »Aber Porphyre braucht Zeit zum Nachdenken, Missy...«
Sie gingen in die Anflugschleife.
.XURPDNX
Und Sally sagte kein Wort auf der Straße und im Taxi, kein Wort auf dem langen, kalten Weg zurück in ihr Hotel.
Sally und Swain wurden erpreßt durch Sallys Feindin >droben im Schacht<. Sally wurde gezwungen, Angie Mitchell zu kidnappen. Daß jemand den Star von Sense/Net entführen wollte, kam Kumiko besonders unwahrscheinlich vor, als wollte jemand eine Gestalt aus der Mythologie ermorden.
Der Finne hatte angedeutet, daß Angie bereits in die Sache verwickelt wäre auf eine rätselhafte Art, aber Wörter und Begriffe verwendet, die Kumiko nicht verstand. Irgend etwas im Cyberspace; Bündnisse damit. Der Finne hatte einen Jungen gekannt, der Angies Freund wurde; aber war nicht Robin Lanier ihr Freund? Kumikos Mutter hatte ihr erlaubt, einige Stims mit Angie und Robin anzuschauen. Der Junge sei ein Cowboy gewesen, ein Datendieb wie Tick in London ...
Und wie stand's mit der Feindin, der Erpresserin? Sie war verrückt, sagte der Finne, und hatte in ihrem Wahnsinn den Verfall des Familienbesitzes eingeleitet. Sie lebte allein im ererbten Heim namens Straylight. Womit hatte sich Sally ihre Feindschaft zugezogen? Hatte sie wirklich den Vater dieser Person getötet? Und wer waren die andern, die andern, die gestorben waren. Schon hatte sie die JDLMLQ Namen wieder vergessen ...
Und hatte Sally erfahren, was sie in Erfahrung bringen wollte, mit ihrem Besuch beim Finnen?
Kumiko hatte zuletzt auf einen Spruch aus dem gepanzerten Schrein gewartet, aber der
Wortwechsel endete mit Nichtigkeiten, einem JDLMLQ Ritual aus witzigen Abschiedsfloskeln.
Im Hotelfoyer wartete Petal in einem blauen Velourssessel. Zum Reisen in einen Dreiteiler aus grauem Wolltuch gezwängt, erhob er seine Massen aus dem Sessel wie ein unförmiger Ballon, als sie hereinkamen. Die Augen hinter der Nickelbrille waren sanft wie immer.
»Hallo«, sagte er und hustete. »Swain hat mich nachgeschickt. Nur um auf das Mädchen
aufzupassen, klar?«
»Bring sie zurück«, sagte Sally. »Gleich! Heut' abend!«
»Sally! Nein!« Aber Sally hatte sie schon am Arm gepackt und zog sie zum Eingang der dunklen Lounge beim Foyer.
»Warte dort!« fuhr sie Petal an. »Hör zu!« sagte sie, während sie Kumiko um die Ecke ins
Dunkel schob. »Du gehst zurück! Ich kann dich jetzt nicht mehr brauchen hier.«
»Aber mir gefällt's dort nicht. Ich mag weder Swain noch das Haus ... Ich ...«
»Petal ist okay«, sagte Sally, die sich zu ihr beugte und sehr schnell sprach. »Im Falle eines Falles würd ich ihm trauen. Swain, nun, du weißt, was Swain ist, aber er gehört deinem Vater.
Was immer auch passiert, ich glaube, er wird dich von jeder Gefahr fernhalten. Aber wenn's brenzlig, echt brenzlig wird, dann geh ins Pub, wo wir Tick getroffen haben. The Rose and Crown, weißt noch?«
Kumiko nickte. Tränen schössen ihr in die Augen.
»Falls Tick nicht da ist, such einen Barkeeper namens Bevan und sag ihm meinen Namen.«
»Sally, ich ...«
»Es passiert dir nichts«, sagte Sally und küßte sie plötzlich, wobei eins ihrer Gläser, das erschreckend kalt und starr
Weitere Kostenlose Bücher