Mondschwingen (German Edition)
Palast?!“
„Aber natürlich, meine Hoheit!“
Nahezu blind lief Toiva durch die Gänge, lief
einem Adligen über den Weg, an dem sie wortlos vorbeirauschte. Sie würde die
Burg so bald nicht wieder sehen, aber das bedeutete ihr nichts. Was nützten
schon gefühlsduselige Abschiede gegenüber Mobiliar und Adligen? In Wahrheit war
sie sogar froh, all das für geraume Zeit verlassen zu dürfen. Die Enge hier
erdrückte sie schier, die endlosen Gespräche und zitternden Lakaien.
Sie stürmte durch die Eingangshalle und eilte
durch den Wald vor der Tür, schritt ganz nach vorne, an den unzähligen Kriegern
und Kämpfern vorbei. Zusammen mit Uselb hatte sie heute Morgen beschlossen,
gemeinsam durch die Straßen zu ziehen, um sich vom Volk zu verabschieden. Sie
war kein Freund solcher Dinge, aber es gehörte zum Krieg dazu.
Uselb nickte ihr zu, als Toiva an der
Spitze stand. Die Schlange aus Kriegern und Mägden war lang, reichte vom Palast
bis zum verwaisten Marktplatz. Manche Mondschwingen standen hinter geöffneten
Fenstern und warteten auf den gewaltigen Zug, der sich unter Klappern und
Trampeln in Bewegung setzte. Toiva schritt winkend voran, mit dem Schwert an
ihrer Seite.
Kinder rannten aufgeregt an den Truppen
vorbei, sprangen wie spielende Hunde hin und her oder klammerten sich an ihre
Mütter, die Blumen in die Menge warfen. Sie nahmen von ihren Männern Abschied,
mit der Furcht im Herzen, sie nie wieder zu sehen. Es war eine eigenartige
Stimmung, die dem Zug anhaftete – Vorfreude konnte man spüren und Ungewissheit
und selbst ein bisschen Kummer.
Irgendwann, als sie den Marktplatz erreicht
hatten, erhoben sie sich in die Lüfte und begannen mit ihrem Weg zu den
Schiffen hinab.
Uselb holte auf und flog mit Toiva zusammen
dem See entgegen. „Angst?“, fragte sie.
Uselb sah sie entgeistert an. „Ich bin ein
Feldherr!“
„Das muss noch lange nichts heißen. Ich bin
Königin und hab mit dem Adel nichts am Hut, Ihr seid Feldherr und habt mit
Krieg nichts am Hut. Warum sonst zieht Ihr erst jetzt wieder in den Krieg und
dann auch noch auf meinen Befehl?! Ihr hättet mich einmal fragen können, vor
längerer Zeit. Ich hätte vielleicht ja gesagt, wer weiß.“
Uselb wirkte schlecht gelaunt. „Ich weiß
nicht“, gab er brummelnd von sich und flog mit größeren Schritten hinunter.
„Wie glaubt Ihr, sind unsere Chancen auf
Sieg? Sicherlich nicht groß, wenn ich das leise sagen darf.“ Toiva war nicht
dumm und auch nicht lebensmüde, sie wusste, dass es schwer werden würde, die
Feinde zu besiegen.
„Nicht sehr groß, da habt Ihr Recht …
Unsere Feinde sind in der Überzahl, viele sind erfahrener.“
„Diese Menschen – was sie nur für Biester
sind.“
Sie hatten die Schiffe erreicht und Uselb
schrie seinen Kriegern zu, sich gleichmäßig zu verteilen.
Nun, da Toiva hier stand, und die Luft ihr
um die Nase strich, freute sie sich tatsächlich. Echte Freude und das verwirrte
sie. Einar wäre auf mich stolz, dachte sie. Ich ziehe für Einar in den Krieg,
für Einar und mich …
Uselb verbeugte sich kurz und schwirrte
davon. Mit monotoner Stimme befahl er seinen Männern sich schneller
aufzuteilen, die Segel zu entrollen und die Anker loszumachen.
„Es riecht nach Krieg. Wunderbar.“
Toiva drehte sich um. Raff, einer der
zwanzig Kapitäne, stand hinter ihr, er hob den Kopf und schnüffelte. „Ich liebe
diese sensationslüsterne Angespanntheit in der Luft, die zittrige Vorfreude,
vermischt mit Furcht. Und ich habe gedacht, ich erleb‘ s nicht mehr, so alt wie
ich jetzt schon bin.“
Toiva blickte den gebückten Mann an. „Wie
lange werden wir brauchen, was glaubt Ihr? Länger als fünf Tage?“
Raff lachte und zeigte dabei seinen
zahnlosen Mund. „Immer dieselben Fragen. Ich weiß nicht so recht, muss ich
gestehen. Die Luft ist rein und kalt, das Wasser spiegelglatt … ich befürchte,
dass der Molmsund-See zufrieren könnte, wenn es noch ein bisschen kälter wird.
Es schneit fast ohne Unterlass, ich habe selten so einen kalten Winter wie
dieses Jahr erlebt.“
„Bloß das nicht.“ Toiva wollte an Eis und
derlei Dinge gar nicht denken. Fünf Tage bräuchten sie und keinen Tag länger!
„Wir können Komplikationen egal welcher Art nicht gebrauchen. Ich befürchte,
dass Liv nicht mehr lange warten wird mit ihrem Mondverschwinden. Jeder Tag,
den wir länger brauchen, könnte unseren Tod bedeuten.“
„Krieg unter Zeitdruck. Besonders interessant,
möchte ich behaupten. Wenn ich
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