Moni träumt vom großen Glück
an, in seinem Haus zu wohnen, das Abitur zu machen und nachher zu studieren.
„Ich kann dir sagen, das war ein Übergang für mich“, lächelte Marc. „Nicht, daß ich es im Kinderheim schlecht gehabt hatte, im Gegenteil. Sie waren gut zu uns, und es wurde für uns gesorgt. Das Essen war vorzüglich, und wir mußten jedes Jahr zum Arzt und zum Zahnarzt. Wir bekamen auch die Grundbegriffe guten Benehmens beigebracht. Aber nun kam ich zum ersten Mal in meinem Leben in ein Privathaus, und zwar in ein Haus, wo alles nach dem Willen und den Begriffen des alten Offiziers ging. Er wollte dem Kind seines alten Freundes nicht nur eine gute Ausbildung verschaffen, sondern auch eine gute Erziehung. Das war manchmal eine harte Schule, aber ich merkte ja immer seinen guten Willen. Ich habe alles über mich ergehen lassen, und allmählich habe ich verstanden, welch großen Dienst er mir erwiesen hat. Er verlangte viel von mir. Er verlangte sehr viel Fleiß. Er verlangte ein tadelloses Benehmen. Dafür gab er mir auch viel. Er gab mirKleidung, schenkte mir mein Fahrrad. Als ich achtzehn wurde, ließ er mich den Führerschein machen, alles Dinge, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Ich kann nicht behaupten, daß ein herzliches Verhältnis zwischen uns bestand. Aber ich habe ihn respektiert. Ich hing an ihm, und es traf mich furchtbar schwer, als er starb. Er erlitt einen Herzschlag. Es kam alles wie ein Blitz aus heiterem Himmel über mich.“
„Ja, und dann?“ fragte ich atemlos. Ich vergaß ganz, weiter abzutrocknen.
„Ja, dann hatte ich gerade das dritte Semester meines Studiums abgeschlossen, und nun stand ich da. Ich war ja nicht erbberechtigt. Er hatte kein Testament gemacht, jedenfalls keins, in dem ich erwähnt war. Plötzlich war ich allein, wieder allein, zwanzig Jahre alt und ziemlich ratlos. Ich habe versucht, mich durchzuschlagen. Ich habe eine kleine finanzielle Studienhilfe bekommen, eine Bude gemietet, einen Sommerjob angenommen. Es war übrigens gerade bei dieser Gelegenheit, daß ich Französisch lernte. Eine Weile habe ich weiterstudiert. Aber dann hatte ich das Pech, krank zu werden. Du weißt es vielleicht nicht: Wenn man so eine Studienbeihilfe bekommt, muß man zwischendurch Fleißprüfungen machen und zeigen, daß man es auch wert ist. Durch meine Krankheit hatte ich viel versäumt, mich aber trotzdem zu der Prüfung gemeldet. Ich habe sehr viel Pech gehabt. Nervös war ich auch. Das war alles sehr traurig… Mein Geld wurde eingezogen. Man fand mich eben nicht würdig. Ich habe wirklich sehr schlecht abgeschnitten bei der Prüfung. Dann habe ich Nachhilfestunden gegeben und tausend verschiedene Jobs gehabt. Ach, Moni, das ist alles sehr langweilig. Das ist nicht anders, als es so viele Studenten erlebt haben. Jedenfalls im rechten Augenblick bekam ich Kontakt mit Opa. Dann kam ich hierher.“
„Ja, aber Marc, erzähl doch! Wie hast du deinen Opa gefunden oder er dich?“
„Durch das Rote Kreuz. Aber das war sehr schwierig. Unser Name ist nicht selten. Es gibt wohl etliche Tausende mit dem Namen Becker in der Bundesrepublik. Und es wurde alles dadurch erschwert, daß Opa nicht ahnte, daß er einen Enkel hatte. Aber zuletzt klappte es. Es war Major Krüger, der mir zuerst gesagt hatte, ich sollte versuchen, ob ich nicht durch das Rote Kreuz irgendwie in Verbindung mit meiner Familie kommen könnte. Er meinte, mein Vater oder meine Mutter müßten doch Eltern oder Geschwister gehabt haben. So haben wir also das Rote Kreuz eingespannt und dann ist es gelungen, wie gesagt: im richtigen Augenblick. So, und nun wäre das Abwaschen fertig – mit deiner tüchtigen Hilfe doppelt so schnell wie sonst. Ich danke dir tausendmal. Nun machen wir uns eine Tasse Kaffee. Und dann sollst du ganz schnell meinen Opa begrüßen.“
Ich saß ein paar Minuten allein in dem kleinen Wohnzimmer und wartete. Ich guckte mich um. Außer den Stühlen, dem Tischchen und einem kleinen Schrank befand sich auch eine Couch in dem Zimmer, die ganz deutlich unter ihrer dunklen Decke Bettzeug verbarg. Aha – hier schlief sicherlich Marc! Etliche Bücher auf dem Tisch daneben verrieten mir auch, daß er seine Studien nicht aufgegeben hatte.
Also hier in diesem Zimmer hatte er gesessen an dem denkwürdigen Abend, an dem gesegneten Abend, als der kleine Gérard wie am Spieß geschrien hatte, so daß Marc zuletzt nach unten lief.
Die Tür vom Nebenzimmer ging auf, und Marcs Opa kam herein. Unter schneeweißen Haaren, unter einer Stirn
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