Montgomery u Stapleton 01 - Blind
hatte, hatte sie die Ermittlerin angewiesen, in die Wohnung der Frau zu gehen und alle persönlichen elektrischen Geräte aus dem Bad mitzubringen. Auf Lauries Schreibtisch stand ein Karton mit einer Notiz der Ermittlerin, die besagte, daß sich in dem Karton alles befand, was sie hatte finden können.
Mit dem Daumennagel ritzte Laurie das Klebeband auf, das den Karton verschloß, klappte ihn auf und blickte hinein. Der Karton enthielt einen Fön und einen alten elektrischen Lockenstab. Laurie nahm beide Gegenstände aus dem Karton und legte sie auf den Schreibtisch. Aus der unteren rechten Schreibtischschublade holte sie ein elektrisches Prüfgerät, ein sogenanntes Voltohmmeter.
Laurie untersuchte zuerst den Fön, wobei sie den elektrischen Widerstand zwischen jedem der Steckerstifte und dem Fön überprüfte. In beiden Fällen zeigte der Ohmwert unendlich an, also keinen fließenden Strom. Sie meinte schon, vielleicht wieder auf der falschen Spur zu sein, und prüfte den Lockenstab. Zu ihrer Überraschung war das Ergebnis positiv. Zwischen einem der Stifte und dem Gehäuse des Lockenstabs zeigte das Voltohmmeter null Ohm an, also frei fließenden Strom.
Mit einigen einfachen Werkzeugen aus ihrem Schreibtisch, unter anderem einem Schraubenzieher und einer Zange, öffnete Laurie den Lockenstab und entdeckte den blanken Draht, der Kontakt mit dem Metallgehäuse des Geräts hatte. Sofort war ihr klar, daß die bemitleidenswerte Flugbegleiterin das Opfer eines tödlichen Stromschlags geworden war. Wie oft in solchen Fällen hatte das Opfer einen Schock erlitten, das fehlerhafte Gerät aber noch weglegen und den Raum verlassen können, bevor Herz und Kreislauf endgültig versagten. Die Todesursache war ein tödlicher Stromschlag, die Todesart Unfall.
Nachdem Laurie den Lockenstab auf ihrem Schreibtisch "obduziert" hatte, holte sie ihre Kamera und arrangierte die Teile, um die mangelhafte Verbindung abzulichten. Sie stand auf, um direkt von oben zu fotografieren. Als sie durch den Sucher blickte, empfand sie Zufriedenheit. Sie konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken bei dem Gedanken, daß ihre Arbeit so ganz anders war, als die meisten Leute annahmen. Sie hatte nicht nur das Geheimnis des frühzeitigen Todes der armen Frau gelüftet, sondern wahrscheinlich auch einem anderem Menschen das gleiche Schicksal erspart.
Noch bevor Laurie den Auslöser betätigen konnte, klingelte ihr Telefon. Sie war so stark auf ihre Arbeit konzentriert, daß sie bei dem Geräusch zusammenfuhr. Mit kaum verhüllter Gereiztheit meldete sie sich. Es war die Telefonistin, die fragte, ob Laurie ein Gespräch von einem Arzt annehmen könnte, der vom Manhattan General Hospital anrief. Sie fügte hinzu, daß er den Chef verlangt habe.
"Warum stellen Sie ihn dann zu mir durch?"
"Der Chef ist im Sektionssaal beschäftigt, und Dr. Washington kann ich nicht erreichen. Jemand hat gesagt, er sei draußen bei den Reportern. Deshalb probiere ich die Nummern der übrigen Ärzte durch, und Sie sind die erste, die sich gemeldet hat."
"Geben Sie ihn her", sagte Laurie resigniert. Sie setzte sich wieder an den Schreibtisch. Sie war ziemlich sicher, daß es ein sehr kurzes Gespräch werden würde. Wenn jemand den Chef sprechen wollte, gab er sich ganz bestimmt nicht damit zufrieden, mit dem Rangniedrigsten in der Hierarchie verbunden zu werden.
Als die Verbindung hergestellt war, nannte Laurie ihren Namen und betonte, daß sie eine der Institutsärztinnen sei und nicht der Chef.
"Ich bin Dr. Murray", sagte der Anrufer. "Ich bin Assistenzarzt im Manhattan General und muß mit jemandem über einen Fall von Drogenüberdosis/Toxizität sprechen, der heute morgen tot hier eingeliefert wurde."
"Was möchten Sie wissen?" fragte Laurie. Drogentote waren für das Institut etwas Alltägliches. Ihre Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem Lockenstab zu. Ihr war eine bessere Idee für das Foto gekommen.
"Der Tote heißt Duncan Andrews", erklärte Dr. Murray. "Er war ein fünfunddreißigjähriger Weißer. Er kam hier an ohne Herztätigkeit, ohne spontane Atmung und hatte eine Körpertemperatur von 42,2, als wir gemessen haben."
"Ja", sagte Laurie gleichmütig. Das Telefon zwischen Kopf und Schulter geklemmt, ordnete sie die Teile des Lockenstabs neu an.
"Es gab massive Anzeichen für einen Anfall", fuhr Dr. Murray fort. "Deshalb haben wir ein EEG gemacht. Es war flach. Das Labor hat einen Serumkokainspiegel von 20 Mikrogramm pro Milliliter
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