Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
nicht. Meine Beine waren gelähmt.
»Was hat dir der Fred angetan?« fragte Anna. »Ich hau ihn, daß er nie wieder gerade gucken kann!«
»Nein«, stieß ich aus. »Laß mich das machen. Aber nicht ... jetzt. Ich ... kann ... nicht. Ich ... bitte, ich muß ... runter hier. Bitte ... pack meine Sachen und bring meinen Koffer ... vom Schiff. Bitte! Ich bleib hier sitzen ...«
Anna kramte meinen Kabinenschlüssel aus meinem Rucksack. »O.K.? Kann ich dich allein lassen?«
»Gegegegegeh pabababababacken. Bibibibibibitte.«
Anna war klasse. Sie stellte keine weiteren Fragen, packte einfach an, half ohne Wenn und Aber.
Ich saß da und starrte. Und zitterte. Immer wenn ich dachte, das Zittern hätte aufgehört, kam der Schüttelfrost mit einer neuen Welle. Eine Stunde, zwei, ich weiß es nicht mehr.
Gestalten gingen an mir vorbei, manche grüßten, manche nicht, die neuen Passagiere betrachteten neugierig das Schiff, Crewmitglieder hasteten vorbei, Streifenhörnchen, sicherlich, ich beachtete sie nicht mehr.
Schließlich kam Anna zurück.
»Alles gepackt! Es hat endlos gedauert, bis ich einen Steward erwischt habe, der bereit war, dein Gepäck runterzuschaffen! Die Paxe sind gerade angekommen, und die haben alle Hände voll zu tun! O.K.! Dein Gepäck steht jetzt unten im Hafen, nur dein Handgepäck ist noch oben. Du mußt dich allerdings beeilen, wir legen gleich ab!«
»O.K.«, sagte ich und versuchte aufzustehen. Aber es ging immer noch nicht.
»Mädchen, so kannst du doch nicht aussteigen«, rief Anna bestürzt. »Ich lasse dich doch in dem Zustand nicht von Bord!«
»Ich muß ... hier ... runter«, stammelte ich tonlos.
Ich hatte keinen Willen mehr. Keine Pläne, keine Ziele.
Ich wußte nur eins: Nie, nie wieder wollte ich Fred begegnen.
Seit Stunden starrte ich gegen die Öltürme von Dubai.
Sie flackerten vor meinen Augen wie Gespenster.
Und da – bildete ich mir das ein? Die Öltürme! Sie entfernten sich! Langsam, schleichend, zentimeterweise nur ...
»Mensch, Burkharda! Deine Koffer stehen im Hafen!« hörte ich Anna rufen. »Ich renne und versuche sie noch zu kriegen!«
Ich wollte reagieren. Aber ich konnte es nicht.
Die Öltürme waren nun schön zwei Meter weiter weg.
Ich vernahm ein ganz leises Brummen Das Schiff legte ab! Noch einmal versuchte ich aufzustehen. Aber es ging nicht.
TUUUUUUUUUUUUT! TUUUUUUUUUUT! TUUUUUUUUUUUUT! dröhnte die »MS Blaublut«, und dann kam die vertraute Traumschiff-Musik über Bordlautsprecher.
»Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie im Namen der Schiffsleitung ganz herzlich. Soeben haben wir abgelegt. Wir verlassen Dubai nun und nehmen Kurs auf Bahrein. Bitte fühlen Sie sich wohl an Bord und vergessen Sie nicht, an der Seenotrettungsübung um achtzehn Uhr auf Deck sieben teilzunehmen. Nach internationalem Seerecht ist die Teilnahme an dieser Übung für alle Passagiere Pflicht. Bringen Sie bitte Ihre Rettungsweste mit. Diese befindet sich unter Ihrem Bett. Im Anschluß an die Seenotrettungsübung bittet Sie Kapitän Harm Lohs zum Begrüßungscocktail in den ›Fürst-Rainier-Saal‹. Heute abend dürfen wir Sie in unsere vier Bordrestaurants zu einem Welcome-Galadiner einladen. Um 22 Uhr stellen wir Ihnen dann die Künstler dieser Reise vor. Wir wünschen Ihnen einen wunderschönen Abend.«
Es war die Stimme von Fred.
Am selben Abend sahen wir uns wieder. Auf offener Bühne. Bei der Welcome-Show.
Fred moderierte wieder charmant und mit sonorer Stimme, machte seine üblichen Witzchen und hatte das jubelnde Publikum gleich auf seiner Seite. »Und mit dabei auf dieser Reise sind ...« Er nannte ein paar Namen. Der Zauberer Rudi, seine Frau Natascha, die Ratten vom Ballett, ein Duo aus Rußland, das Klassik spielte, eine Lektorin, eine Blumenbinde-Meisterin.
Schließlich sagte er mich an. Ich stand mit Anna, die mich schwesterlich stützte, dem Bariton Friedemann Gottlieb, den drei Warmduschern von gestern abend und den anderen Künstlern, die noch übrig waren, in der Gasse.
»So! Jetzt du! Schaffst du’s?!«
»Ja“, murmelte ich tapfer. Und unter dem tröpfelnden Beifall der satten Passagiere taumelte ich wie ein ferngesteuerter Panzer auf die Bühne.
Der Schiffsarzt Dr. Hundtgeburth hatte mir zwei Tavor verabreicht. Anna hatte ihm erklärt, daß ich unter starkem Lampenfieber litte.
»Und nun habe ich die große Freude, meine Damen und Herren, Ihnen eine äußerst vielseitige, talentierte und musisch begabte Künstlerin anzusagen. Sie ist auf
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