Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
eine überfüllte Gangway hinunterpurzeln würden, würde ich als erstes versuchen, die Tampons aufzuheben. Klara-Viktoria trat aber in Blitzesschnelle mit ihrer Stampfsandale auf eines der Fotos. Ich konnte nicht erkennen, was darauf war. Es war irgendwie dunkel, und man sah einen Liegestuhl. Oder bildete ich mir das nur ein? Es ging alles viel zu schnell. Nur eine Zehntelsekunde sah ich dieses Foto. Und doch: An der Reaktion, an der Überreaktion von Klara-Viktoria konnte ich ermessen, daß sie nicht wollte, daß ich dieses Foto sah. Man schob mich im Gedränge weiter die Gangway rauf, und Klara-Viktoria-Engel und ihr Lars-Dars-Schatzi blieben zurück, um die Gegenstände einzusammeln. Ich verlor die beiden aus den Augen. Aber das Ganze gab mir doch sehr zu denken.
Die Farewell-Show wurde eine wunderschöne Abschiedsgala. Während die achtköpfige Bänd »Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus« spielte, brachten knapp hundert Stewards im Marschschritt knapp hundert brennende Eistorten in den »Fürst-Rainier-Saal“. Die Leute klatschten begeistert im Takt in die Hände, viele fette Oberarme wabbelten, Videokameras waren auf die marschierenden Stewards gerichtet, die die brennenden Eistorten im Kreis herumtrugen. Über den Köpfen der Tafelnden baumelte wieder halbnackt die ausgezehrte Natascha. Der Zauberer Rudi ging von Tisch zu Tisch und ließ mit dem gleichen eingefrorenen Lächeln wie immer seine Kaninchen und Täubchen aus seinem Zylinder krabbeln. Der dicke Lektor pries seine Videos, die er von dieser Reise gemacht hatte und die zu einem Vorzugspreis von dreihundertvierzig DM zu erwerben waren. Der Bordfotograf war unermüdlich am Werk, der STERN-Fotograf auch, Gloria war mit ihren Luchsaugen überall, und eigentlich beobachtete jeder jeden. Unser Chor sang auf vielfachen Wunsch der Mitwirkenden noch ein paar Weihnachtslieder, und dann wurde getanzt, getrunken und gelacht. Ich tanzte auch. Mein lieber alter Einhandsegler forderte mich mal wieder auf. Ich plauderte nett und angeregt mit ihm, und er erzählte mir von seinen Abenteuern auf Neuseeland, als er mit seiner winzigen ollen Jolle im Jahre 57 dort gestrandet war. Ich vertraute ihm an, daß ich Fred Hahn liebte. Aber das wußte der alte Einhandsegler schon. Irgendwie hatte sich das alles schon rumgesprochen. Frau Rehm tanzte glücklich lachend mit Herrn Adlerhorst. Klara-Viktoria, die dicke Diseuse, sang zu den Klängen der achtköpfigen bulgarischen Bänd »Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?«. Sie hatte ihre wogenden Massen in ein orangerotes wallendes Gewand gehüllt, und ihre schwarzen Haare klebten wie immer wie eine Badehaube am Kopf. Das eine Auge war von der albern gedrehten Locke verdeckt, mit dem zweiten Auge taxierte sie mich hämisch. Ich schenkte ihr keinerlei Beachtung, und nur, um sie zu ärgern, tanzte ich sogar noch mit Ulrich dem Belagerer.
»Wo hast du so lange gesteckt, du! Ja Wahnsinn, du!«
»Ich war an Land! Du nicht?«
»Dochch, du, ja Wahnsinn, du, mit der wahnsinnigen Anna, du, ich sage dir, du.«
»Du und Jürgi?«
»Ichch und Anna und Jürrrgi und Gloria, du, ja, wir waren ein unglaublichch gutes Team, du.« Er schwenkte mich begeistert im Kreise.
»Das kann ich mir vorstellen!«
»Wir haben einen Wagen gemietet, odr, und dann sind wir nach Coromandäll gefahren, odr, und nach Rotorua, zu den Schwefällquällän, odr, und dann haben wir die Schaffarm besucht und zugeschaut, wie so ein Rräinggrr ein Schaf geschoren hat, odr ...«
Ja Wahnsinn! Die hatten exakt das gleiche Programm wie wir!
»Habt ihr uns nicht gesehen?« fragte ich bang.
»Dochch! Ständichch!« Ulrich lachte und drückte mich an sich. Jemand fotografierte uns. Ich konnte nicht sehen, wer. Es blitzlichtete eigentlich ständig und überall.
»Hat Gloria was erzählt?«
»Gloria erzählt unaufhörlich was, odr!« Ulrich lachte.
»Ich meine, hat sie was von einem ... Foto ... erzählt?«
»Du, mach dir keine Sorgen, du! Laß die Leute fotografieren, soviel sie wollen!«
»Oder gar von einem ... Video?«
»Schau mal, hier filmt jeder jeden!«
»Schon gut.« Ich wollte den unschuldigen Ulrich nicht beunruhigen.
Ulrich lachte und drehte mich im Kreise und war bester Dinge.
Sollte ich ihm sagen, daß es Drohungen, Briefe und schmutzige Andeutungen von allen Seiten gab?
Nein. Das hätte dem fröhlichen Landmann völlig die Stimmung versaut. Er war so ein netter, herzlicher und begeisterungsfähiger Schweizer. Warum sollte ich ihn
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