Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
ins Leben gerufen und uns mit weihnachtlichen Klängen erfreut. Leider ist sie aber nymphomanisch veranlagt.«
»PH!« rief ich verächtlich aus. »NymphomaNISCH! Und ihr seid anonyMISCH veranlagt!« Angewidert las ich weiter:
»Sie hat – was wir aus sicherer Quelle erfahren haben – mit einem Schweizer Passagier vor dem ›Fickneßstudio‹ ihre ganz eigenen Übungen gemacht. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß es Foto- bzw. Filmmaterial von dieser unerfreulichen Szene gibt. Heutzutage gibt es hoch lichtempfindliche Videokameras, mit denen man sogar bei Nacht und auch aus einiger Entfernung messerscharfe Aufnahmen machen kann. Sie sind nicht ganz unbekannt, und es dürfte der Presse einiges wert sein, diese Aufnahmen zu veröffentlichen. Außerdem hat Ihre Frau dem Kreuzfahrtdirektor Fred Hahn Liebesgedichte geschrieben. Auch diese Gedichte eignen sich hervorragend für eine Veröffentlichung. Es tut uns leid, daß wir Ihnen das alles eröffnen müssen, aber Sie sollen das noch vor Weihnachten wissen. Welche Konsequenzen Sie daraus ziehen, überlassen wir Ihnen.«
Das ist aber großzügig, dachte ich. Wirklich. Echt großzügig. Deutsche Ehrenbürger.
»Näheres sagen wir Ihnen gerne, wenn wir Sie in den nächsten Tagen anrufen. Bei der Gelegenheit werden wir auch unseren Namen nennen.«
Schon wieder so großzügig! Das waren ja ganz feine, charakterstarke Leute!
Ich reichte Rüdiger den widerlichen Wisch zurück.
Rüdiger stand, ein dünnes Bündel Elend, in der Haustür.
»Warum schicken die dir das ausgerechnet Heiligabend?«
»Die wollen eben, daß ich weiß, woran ich bin.«
»Das scheint dir auch noch zu imponieren, was?« Ich bebte vor Wut. »So ein feiges anonymes Gewäsch!!«
»Aber es stimmt doch alles!«
»Und WENN! Dann ist es MEINE SACHE!!« Ich schrie den armen Rüdiger an. Dabei war er doch gar nicht schuld.
»Rüdiger«, sagte ich. »Ich hab dir ‘ne Menge angetan. Aber die Zeit ist einfach gekommen. Ich möchte mich von dir trennen. Nur hätte ich es dir nie am Heiligen Abend gesagt.«
»Ich will mich aber nicht von dir trennen, Burkharda. Ich liebe dich immer noch!«
Und dann nahm ich Rüdiger in den Arm.
Er tat mir so leid!
»Was ist dieser Fred Hahn für ein Mensch?« fragte Rüdiger.
»Er paßt zu mir“, sprudelte es aus mir heraus. »Er ist aus dem gleichen Holz. Wir sind beide sehr stark, sehr hart, sehr egoistisch, wir wollen alles vom Leben und passen nicht in diesen spießbürgerlichen Alltag ...«
»Ich will dich aber nicht verlieren.« Rüdigers Lippen zitterten. Seine Augen schwammen in Tränen.
Ey, Hättwich! Könntest du mir bitte mal soufflieren?!
Doch Hättwich war nicht da. Mit solchen Situationen konnte sie nichts anfangen.
»Ach Rüdiger, ich habe dich doch auch lieb ...«
Aber du bist kein MANN für mich, Rüdiger. Das weiß ich jetzt. FRED ist DER MANN für mich. Das sagte ich nicht laut. Ich wollte Rüdiger nicht noch mehr verletzen.
So standen wir lange in der Haustür, ich mit meinem Pulsmesser, der unaufhörlich piepste, weil mein Herz so raste. Und Rüdiger mit dem widerlichen, feigen, anonymen Wisch selbstgerechter Denunzianten in der Hand. Rüdiger weinte und tat sich ganz schrecklich selber leid.
Ich konnte es nicht mehr ertragen.
»Putz dir die Nase!« sagte ich und rannte in die düstere, feuchtkalte Dämmerung hinein. Stundenlang. Und nahm nichts wahr. Durch den stockfinsteren Wald lief ich, wie in Trance. WER hatte Rüdiger diesen Brief geschrieben? WER hatte das Sendungsbewußtsein, dies am Heiligen Abend zu tun? WER spielte sich als Richter auf? WER war so selbstgerecht und feige, einen anonymen Brief zu schreiben? Feine Kirchgänger waren das!
Ich zermarterte mir das Hirn. Da waren so viele gewesen, so viele! Ich sah Gesichter vor mir von Leuten, die mich beobachtet hatten, fotografiert, gefilmt.
Aber aus dem Brief ging ja eindeutig hervor, daß der Schreiber nicht identisch war mit dem Fotografen. Es gab also mehrere Menschen, die ihre Nase in mein Privatleben steckten. Und sich darüber austauschten.
Diese Leute hatten ja alle so viel Zeit!
In ihrem eigenen Leben passierte ja so wenig!
Deshalb mußten sie vor anderer Leute Tür kehren!
Weil es vor ihrer eigenen Tür so gar nichts zum Kehren gab. Das war ja so christlich. Am Fest der Nächstenliebe.
Ich trabte und trabte. Mein Atem dampfte feucht in der kalten, klammen Luft. Die Tannen rochen würzig, und die schneidend kalte Luft war klar und sauber. Mir tat das Laufen
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