Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
Werke gehen.«
Pitt war sich in dieser Hinsicht weit weniger sicher, wollte aber nicht, dass der Herzog das merkte, weil ihn das schwankend machen würde. Daher bemühte er sich, seine Zweifel nicht zu zeigen. »Und woher werden Sie wissen, ob die Informationen, die ich an ihn weiterleite, richtig oder falsch sind?«, fragte er.
»Wir schließen ein gentlemen’s agreement , wie es bei Ihnen in England so treffend heißt«, sagte der Herzog und sah Pitt offen an.
»Sie sind ein gentleman «, gab Pitt zurück, »ich nicht.«
»Ich weiß, Sie sind Sohn eines Wildhüters«, sagte Alois leichthin, nach wie vor in seinem Sitz zurückgelehnt. »Das bedeutet, dass Sie das Ehrgefühl eines guten Dienstboten besitzen. Ich als Angehöriger des Hochadels habe nur sehr wenig Ehrgefühl, eigentlich nur dann, wenn mir danach ist.«
Pitt war verblüfft darüber, dass der Mann so viel über ihn wusste. Doch sogleich ging ihm auf, dass er damit hätte rechnen müssen, und ihm war klar, dass dessen Äußerungen mindestens zur Hälfte ironisch gemeint waren.
»Ich würde es Ihnen nicht verdenken, wenn Sie nach der Sache im Buckingham-Palast den Angehörigen des Hochadels nicht so recht über den Weg trauten«, fuhr der Herzog fort. »Ich hingegen neige sehr dazu, einem guten Wildhüter zu vertrauen. Wer die Geschöpfe der Erde am Leben erhält, mag andere Menschen belügen, doch bei seiner Arbeit kennt er sich aus. Die Natur verzeiht keine Fehler.«
»Auch der Staatsschutz nicht, weder in Ihrem Land noch in meinem«, gab Pitt zurück.
»So ist es. Man könnte das Gleiche über das Auf und Ab in der Geschichte sagen.« Jetzt war der Herzog vollkommen ernst. In seinen Augen lag keine Spur von Belustigung mehr, sondern lediglich der Ausdruck einer deutlich erkennbaren inneren Befriedigung. Unwillkürlich sah Pitt ihn mit erhöhter Aufmerksamkeit an. »Die gesellschaftlichen Veränderungen setzen sich in ganz Europa durch, ob das dem Hause Habsburg passt oder nicht«, fuhr Alois fort. »Sofern wir die Sache freiwillig aus der Hand geben, kann das unter Umständen ohne Blutvergießen geschehen. Falls wir aber versuchen, mit eiserner Faust weiterzuregieren, werden wir ein Ende mit Schrecken erleben, und nur Hass wird bleiben. Vielleicht wird sich Großbritannien eines Tages, etwa in einem halben Jahrhundert, in einer ähnlichen Lage befinden.«
»Kaiser Franz Joseph teilt Ihre Ansicht nicht«, sagte Pitt finster.
»Das ist mir bekannt.« Wieder trat der Ausdruck eines bitteren Humors auf das Gesicht des Herzogs. Es war offenkundig, dass er dessen Standpunkt für töricht hielt. »Ich weiß, dass ich nur wenig vermag, doch was in meiner Macht steht, werde ich tun. Gerade deshalb wäre es für mich von größtem Nutzen, mehr über Lord Tregarrons Informationen zu wissen und zu erreichen, dass vielleicht …« Er zögerte und schloss dann: »… mehr und genauere Einzelheiten in beide Richtungen fließen.«
Pitt verstand durchaus, worauf der Mann hinauswollte, hätte aber gern genauer gewusst, was dessen Motive waren. Des ungeachtet war er inzwischen entschlossen, das Angebot anzunehmen, denn bei einer Ablehnung wäre das Risiko größer gewesen als bei einer Zustimmung.
»Ja«, sagte er, entspannte sich ein wenig und ließ seine Schultern leicht sinken. »Man könnte sich dies und jenes überlegen, was der einen oder der anderen Seite von Nutzen wäre, wenn nicht gar bisweilen beiden.«
Herzog Alois hielt ihm die Hand hin. Ohne zu zögern, beugte sich Pitt vor und nahm sie. Dann entschuldigte er sich und suchte Stoker auf.
Eine Viertelstunde später stand er auf dem Gang vor seinem eigenen Abteil und sah durch das Fenster auf die vorübergleitende bewaldete Landschaft, die man durch die Regentropfen auf der Scheibe nur undeutlich erkannte. Mit einem Mal bremste der Zug völlig unvermittelt.
Pitt erstarrte, wandte sich um und stürmte das Dutzend Schritte zum Abteil des Herzogs. »Stoker!«, rief er so laut, dass er damit das Kreischen der Räder auf den Schienen übertönte.
Die Verbindungstür zum nächsten Waggon flog auf, und Stoker eilte herbei, auf dem Fuße von einem der Männer des Herzogs gefolgt.
Im selben Augenblick öffnete sich die Abteiltür, und der Herzog streckte den Kopf heraus. »Was gibt es?«, erkundigte er sich. Er sprach mit fester Stimme, doch sein Gesicht war bleich und angespannt.
»Ein Heuwagen steht auf den Schienen«, teilte ihm Stoker mit. »Er scheint einen Teil der Ladung verloren zu haben.« Er
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