Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
hielt. Hatte er sich vielleicht zusammengereimt, daß Sara an diesem letzten Nachmittag bei Lorrimer gewesen war, obwohl sie behauptete, ihn seit Monaten nicht mehr gesehen zu haben? Daß sie vermutlich die letzte war, die ihn gesehen und mit ihm gesprochen hatte? Gewöhnlich wird vermutet, daß die Person, die ein Mordopfer zuletzt gesehen hat, nur allzuoft auch der Täter ist. Bei Gift ist es jedoch anders, besonders in diesem Fall, in dem ein Mensch über eine längere Zeit langsam vergiftet worden war. Sie wünschte, Sara hätte Markby die Wahrheit gesagt. Daß sie es nicht getan hatte, verschlimmerte nur eine bereits ziemlich verfahrene Situation. So gerät man in Schwierigkeiten, dachte Meredith. Zuerst ist man wegen einer Kleinigkeit nicht ganz aufrichtig, und am Ende sieht es nach einer geplanten Hinterhältigkeit aus. Dann kann man sein Gewissen schon nicht mehr erleichtern.
Die Folgen von Lorrimers Tod waren aber nicht das einzige, über das sie sich aufgeregt hatte. Seit ihrer Ankunft oder vielleicht auch schon seit sie Eves Einladung bekommen hatte, war Mikes Geist aus dem Grab auferstanden und ließ sie nicht in Ruhe. Warum sind Sie in den diplomatischen Dienst eingetreten, Meredith? Weil ich mich in den Mann meiner Cousine verliebt hatte, deshalb. Weil ich verzweifelt war und nur fort wollte, um ein neues Leben unter Menschen anzufangen, die nur Schiffe waren, die vorüberzogen, die mir keine Fragen stellten und denen ich im Grunde völlig gleichgültig war. Menschen wie Toby, die wußten, daß sie Eves Cousine war, konnten neugierig sein, aber sie verstand es, sie abzuwehren, ja, sie hatte es darin zu einer wahren Meisterschaft gebracht.
Es war eine sehr seltsame Liebesaffäre gewesen, die sie auf dem Rücken durchs Leben schleppen mußte. Und sie war bis heute nicht imstande, diese Last abzuwerfen. Die Geschichte hatte angefangen, als eine langbeinige Brautjungfer in einem unpassenden Kleid sich in eine Schwärmerei für den Bräutigam hineinsteigerte. So etwas hatte es auch schon früher gegeben. Doch sie war nicht aus dem Gefühl heraus –, es war vielmehr immer tiefer in sie hineingewachsen. Sie war älter, aber nicht weiser geworden, hatte ein Universitätsstudium absolviert, Karriere gemacht und unermüdlich diese kleine Leidenschaft im Herzen getragen. Keiner ihrer Freunde hatte es auch nur annähernd mit ihr aufnehmen können.
Eve war in jener Zeit immer schöner und kapriziöser geworden. Sie hatte Mike wiederholt betrogen, war aber hinterher jedesmal ganz zerknirscht und versprach hoch und heilig, es werde nie wieder geschehen. Völlig verwirrt hatte Mike zusehen müssen, wie sich das Mädchen, das er geheiratet hatte, in jemanden verwandelte, den er nicht verstand und nicht festhalten konnte. Meredith war die mitfühlende Seele gewesen, der er seinen Kummer anvertraute. Meredith, treu und zuverlässig bis zum letzten, wie sie jetzt spöttisch dachte, hatte ihn mit Tee und Mitgefühl versorgt, und aus dem Mitgefühl war später noch mehr geworden …
Kein Wunder, dachte sie, als sie nach dem Zündschlüssel griff, daß ich jetzt durcheinander bin. Markby hat in ein Hornissennest gestochen. Ein netter Mann, dieser Alan Markby. Ein attraktiver Mann auch, doch ihre vordringlichste Aufgabe war es jetzt, diesen ganzen Urlaub hinter sich zu bringen, um endlich an ihre Arbeit zurückkehren zu können, in die Welt, die sie kannte und in der sie sich zurechtfand. Dafür mußte die Sache mit Lorrimer geklärt werden, und das möglichst schnell! Also höchste Zeit, selbst ein bißchen Detektiv zu spielen, Meredith. Der Motor sprang an.
Es dauerte eine Weile, ehe sie die Niederlassung der Molkerei fand. In einer Telefonzelle an der Straße suchte sie die Adresse aus einem fleckigen Telefonbuch heraus und stellte fest, daß die Molkerei nicht in der Stadt, sondern außerhalb lag. Als sie endlich dort war, konnte sie den Komplex leicht an einer Reihe von Lieferwagen erkennen, die im Hof parkten und genauso aussahen wie jener, der immer die Milch ins Pfarrhaus brachte. Meredith stieg aus dem Wagen und schnupperte. Es roch ganz leicht nach saurer Sahne. An dem Lieferwagen in ihrer Nähe hing ein Zettel: Fragen Sie Ihren Milchmann nach Kartoffeln. In einem Gebäude, das so groß war wie ein Hangar, klapperten Milchkästen und klirrten Flaschen.
Das blaßblonde Mädchen im Büro sagte: »Gary Yewell? Da müssen Sie zur Verladerampe rübergehen. Und wenn er nicht da ist, warten sie ein bißchen, er macht
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