Mord mit Schnucke: Heidekrimi (German Edition)
Eindruck.«
Hanna stutzte.
»Moment mal. Dann ist die Wache jetzt unbesetzt? Das geht doch nicht.«
»Wieso denn? Mit dem Karl hab ich das immer so gehandhabt. Die Wache bleibt auch über Mittag geschlossen. Unsere Leute wissen das. Wenn’s einen Notfall gibt, werden wir halt angerufen.«
»Verstehe.«
»Ist ja oft niemand da. So wie jetzt, wo wir beide auf Einsatz sind.«
Hanna schluckte eine Erwiderung hinunter. Eine Polizeiwache, die nur mit zwei Beamten besetzt war, konnte nicht rund um die Uhr geöffnet sein.
Schon klar.
Außerdem passierte hier sowieso herzlich wenig. Wäh rend der Rückfahrt fragte sie sich, wie lange es wohl dauern mochte, bis sie sich in diesem Heidekaff zu Tode langweilen würde.
Nicht lange, mutmaßte sie.
Was sich als ein gewaltiger Irrtum erweisen sollte: Nur vier Tage später stolperte Hanna durch den Wald des Grafen Fallersleben mitten hinein ins Unheil.
6
Hanna kämpfte gegen einen plötzlichen Würgereflex an.
Verdammt!
Der starke metallische Geruch nach Blut ließ bittere Galle in ihrem Hals hochsteigen.
Oder war es die Angst?
Während die schemenhafte Gestalt des Mannes sich weiterhin ganz langsam näherte, musste sie an die Worte ihres Ausbilders auf der Polizeihochschule denken.
»Bildet euch nicht ein, diesen Beruf ohne Angst ausüben zu können. Angst ist wichtig, sie hält eure Instinkte wach und sorgt in einer Notfallsituation für den nötigen Adrenalinschub. Die Angst kann euer Leben retten. Also spielt nicht die Helden, wenn eure Instinkte etwas anderes sagen.«
Hanna schluckte und wartete auf den prophezeiten Adrenalinschub. Vielleicht würde sie mit dessen Hilfe ja Superkräfte à la Spiderman entwickeln und sich fünf Meter weit über die kleine Lichtung in Richtung ihrer Waffe katapultieren können. Die Möglichkeit, dass sie dabei auf der Leiche landen konnte, erwog sie lieber nicht. Wenigstens war ihre Waffe nicht in der Blutlache gelandet. Auf einer dichten Schicht aus Birkenblättern hatte nicht alles Blut im Waldboden versickern können. Zudem war die Leiche halbwegs hinter einem Busch verborgen. Der konnte sogar kräftig genug sein, um Hanna im Zweifelsfall abzufangen.
Sie spannte alle Muskeln an und machte sich bereit zum Sprung. Und sie hatte dabei so viel Angst, dass ihr Ausbilder stolz auf sie gewesen wäre.
Die Gestalt des Mannes rückte wieder ein Stück näher. Aber noch immer konnte Hanna ihn kaum sehen. Sie wagte es nicht, den Kopf zu heben und genau hinzuschauen.
Sie begriff jedoch, dass sie es unmöglich bis zu ihrer Pistole schaffen konnte. Also ließ sie die Muskeln angespannt, tat, als sei sie ohnmächtig, und wartete ab.
Wenn er sie angriff, hatte sie nur eine Chance. Das Überraschungsmoment war auf ihrer Seite.
Wenn er dich aber einfach erschießt, bist du tot, sagte eine Stimme in ihrem Innern.
Danke auch, dachte Hanna.
Bevor die Stimme etwas erwidern konnte, brach die Hölle los.
Die erste Heidschnucke sah Hanna nicht kommen. Das Tier sprang über eine Wurzel, machte einen weiten Satz über den Toten und den Busch hinweg, rempelte den schattenhaften Mann an und verschwand hinter ein paar Bäumen. Dann kam die nächste Schnucke, dann noch eine, und noch eine. Plötzlich trampelte eine komplette Herde über den Tatort und rannte um Hanna und den Toten herum, bevor sie sich im Wald verstreute. Eine Heidschnucke wischte im Vorbeilaufen mit ihrem silbergrauen zotteligen Fell über Hannas Gesicht.
Sie keuchte auf.
Wenigstens war der Blutgeruch jetzt nicht mehr so stark. Ihre Übelkeit ließ nach. Die Angst auch.
Hanna wagte es, vorsichtig aufzuschauen. Der Mann war fort. Auf der Stelle erkor sie Heidschnucken zu ihren Lieblingstieren.
Ihrer inneren Stimme hatte es vor Staunen die Sprache verschlagen.
Ein schwarz-weiß gefleckter Hund tauchte wie aus dem Nichts auf. Er raste von einem Tier zum anderen, kläffte laut, biss hier in ein Bein, dort in einen Schwanz. Mit unglaublicher Geschwindigkeit brachte er einige Ausreißer zurück, die schon tiefer im Wald verschwunden waren.
Hanna rappelte sich auf. Bis auf eine kleine Schürfwunde am Ellenbogen war sie unverletzt. Sie stürzte auf ihre Waffe zu und steckte sie ein, während um sie herum das Chaos tobte.
Ein schriller Pfiff ließ sie zusammenzucken.
Schlagartig erstarrten die Heidschnucken. Der Hund begann, die Herde neu zu formieren und sie langsam zurück auf die Heide zu treiben.
Ein Mann mit einem breitrandigen Lederhut auf dem Kopf rief: »Schneller,
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