Mordlast
›pleasures‹.
»Vergnügen.« Engbers lachte trocken. Er suchte nach einem weiteren Schalter, fand aber keinen. »Na dann viel Spaß bei der Spurensuche im Dunkeln.«
»Hier ist noch etwas«, sagte Davídsson, der beinahe über einen Fußschalter gestolpert wäre.
Er trat auf den Knopf und fünf im Kreis stehende Röhrenmonitore, die zur Decke zeigten, flammten abwechselnd mit einem sechsten in der Mitte auf. Der Raum flackerte in grellem Rot, Gelb und Rosa.
»Das wird Rach auch nicht besonders weiterhelfen, wenn er hier nach Spuren sucht.«
Davídsson sah das Lächeln auf Engbers Lippen wie bei einer Discobeleuchtung der 1980er Jahre. Er schien in den schwarzen Momenten immer ein kleines Stück weiter zu springen.
»Ich würde verrückt werden, wenn ich hier wohnen müsste.«
Davídsson nickte. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das zuckende Licht. Er war vor einem Schaukasten stehen geblieben, in dem ein Foto neben dem anderen hing. Er zählte hundertsechsundzwanzig Aufnahmen in einem Kasten.
»Die Bilder sollten wir alle mitnehmen. Vielleicht zeigen sie uns noch eine weitere Seite von unserem Opfer.«
Er sah eine neongelbe Couch aus irgendeinem Kunststoff und ein Futonbett mit einem rotblau karierten Bettbezug auf der anderen Seite.
»Noch ein Geheimnis?« Engbers stellte sich neben Davídsson, der das Nikotin an seiner Kleidung riechen konnte.
»Vielleicht. Jedenfalls können wir sie uns bei diesem Licht wohl nicht in Ruhe ansehen, oder?«
»Ich glaube, ich muss hier raus.« Er sah den skeptischen Blick von Davídsson. »Ausnahmsweise Mal nicht, um zu rauchen.«
Sie hatten ein ganz bestimmtes Bild von Bernd Propstmeyer vor Augen gehabt, bevor sie dieses Haus betreten hatten. Sie hatten gedacht, dass dieser Mann an der Vergangenheit festhielt, auch wenn es nicht einmal seine Vergangenheit war oder seine Vergangenheit sein konnte. Jetzt hatten sie eine völlig neue Seite von Bernd Propstmeyer kennengelernt.
Als Davídsson in den Hof kam, rauchte Engbers. Und er telefonierte.
»Hast du noch etwas entdeckt?«, fragte er, nachdem er sein Handy wieder zurück in die Jackentasche gesteckt hatte.
»Nein. Hast du gerade die Spurensicherung verständigt?«
»Ja, aber ich weiß nicht, wonach die suchen sollen. Alles könnte wichtig sein, oder es könnte uns auch nur aufhalten.«
»Fest steht, dass Bernd Propstmeyer ein Doppelleben geführt hat. Ein Leben in einer Vergangenheit, für die er eigentlich viel zu jung war, und ein Leben in einer absolut modernen Welt, in die er irgendwie auch nicht richtig passte.«
»Wieso glaubst du das?«
»Es sind zwei extreme Welten, die da aufeinandertreffen.« Davídsson wusste nicht, wie er es besser ausdrücken sollte. Es war ein Gefühl, das er noch nicht beschreiben konnte.
»Vielleicht gibt es ja noch eine Welt dazwischen.«
Sie saßen wieder im Besprechungsraum. Engbers und seine zwei Kollegen, Andreas Rach und Ólafur Davídsson. Irgendjemand hatte die Schaukästen mit den Bildern auf schäbigen Holztischen gegen die Wand gelehnt.
»Sie zeigen alle das gleiche Motiv«, stellte Engbers fest. Er hatte sich gerade erst auf einen der Stühle gesetzt und sah jetzt in die kleine Runde.
Davídsson hatte sich die Bilder ebenfalls angesehen. Sie waren in der kargen Beleuchtung des Besprechungsraumes besser zu erkennen als in der Wohnung.
Auf allen Fotos war ein blasser Junge in schwarzer Kleidung zu sehen. Er war höchstens dreizehn und schien sich bereitwillig fotografieren zu lassen. Mal zog er eine Grimasse, mal lachte er mit weit geöffnetem Mund, mal lächelte er unschuldig. Hundertsechsundzwanzig Bilder von der gleichen Person, vor dem gleichen Hintergrund, der nur schemenhaft erkennbar war. Lediglich das Licht variierte und die Farben. Manche Aufnahmen waren gelbstichig, einige waren schwarz-weiß, eines war grün-gelb gestreift, als hätten sich zwei Bilder teilweise übereinandergelegt.
»Es könnte von einem Film sein«, sagte Davídsson nach einer Weile.
»Oder von einer Digitalkamera.«
»Nein. Das heißt natürlich ja, aber ich meinte bewegte Aufnahmen.«
Rach nickte. »Die Bilder stammen von einer Digitalkamera, aber die Aufnahmen sind nur zum Teil fortlaufend wie bei einem Film mit bewegten Bildern.«
»Wissen wir sonst noch etwas?« Engbers schloss das Fenster. Draußen hatte es begonnen zu regnen.
»Wir können herausfinden, welches Fabrikat die Digitalkamera hatte, aber das dauert noch eine Weile.«
»Wissen wir, wer dieser Junge
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