Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
Vom Netzwerk:
Gepeinigte. »Zieht mich an Bord. Ihr könnt mich hier am Haken hängen lassen, aber zieht mich an Bord.«
    »Natürlich, aber dann würden die anderen Schwanznasen ebenfalls hier auftauchen und das Gleiche verlangen«, erwiderte Rabendorn. »Wir sind doch kein Hotelboot!«
    Eugenes Körper war krebsrot und wie der Ben Siras von unzähligen Brandblasen entstellt. Auch er trug kein einziges Haar mehr am Körper, und sein Penis sah aus wie eine getrocknete Pepperonischote. Er redete mit südeuropäischem Akzent; einer der Wander- oder Fernsehprediger, die Kreuzbeißer erwähnt hatte?
    »Oh, nein«, sagte Rabendorn, als ich ihn darauf ansprach. »Das ist unser alter Freund Eugene Orowitz aus unserer Sammlung ›Falsche Engel‹. Nachdem er sechs Jahre lang für fettes Geld als Himmelsbote die Herzen gerührt hatte, starb er leider an Krebs.« Schlangenschwanz schleuderte den Büßer wieder in die Flammen.
    »Irgendwann wird der See überlaufen«, beschwerte sich Kreuzbeißer. »Oder es entsteht eine Insel aus falschen Engeln. Das Gesindel bildet schon jetzt überall Untiefen. Wir können hier kaum noch frei manövrieren.« Er griff sich einen Enterhaken, wirbelte ihn über seinen Kopf und warf ihn hinaus in den See. »Pass mal auf«, forderte er.
    »Ich wette drei Unzen, dass er einen Wanderprediger angelt«, rief Rabendorn.
    »Fünf Unzen dagegen, dass ein Papst am Haken hängt«, schmetterte Schlangenschwanz zurück.
    »Es ist ein Rockstar«, mutmaßte Marderkralle. »So wie der zappelt.«
    Tatsächlich schien der Haken ein Opfer gefunden zu haben. Flink zogen die Chroner es an Bord und hielten es in die Höhe. »Syssa!«, erscholl es unisono enttäuscht.
    Es war eine Frau, die oberhalb der Hüfte von den Widerhaken erfasst worden war. Unzufrieden rissen die Chroner die Zinken aus ihrem Fleisch.
    »Erkennst du sie?«, fragte Kreuzbeißer.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun ja, im Fernsehen war sie wesentlich besser gelaunt und trug die Haare länger.« Die Aufseher meckerten gehässig und zerkratzten der Büßerin den kahlen Schädel. Das Opfer wimmerte, wehrte sich jedoch nicht.
    »Ich habe mich immer gefragt, warum du nicht bei denen bist, die wider die Natur handelten, Syssa«, stichelte Schlangenschwanz. »Wahrscheinlich war deine Quote einfach zu schlecht. Sag mal, was ist dir lieber: Aqua ardens oder Feuer, das vom Himmel fällt?«
    »Aqua …«, röchelte Syssa.
    »Dacht ich’s mir doch.«
    Kreuzbeißer wandte sich zu mir und hielt die Frau in die Höhe. »Darf ich dir Syssa Dabachet vorstellen? Sie verkleidete sich als Mann und spielte den Messias, ließ sich kreuzigen und starb natürlich auch an Krebs. Alle sterben sie an Krebs!« Er warf die Frau über Bord. »So, Günstling, genug Zeit vertan«, entschied er und nahm eine bedrohliche Haltung ein. »Marsch, Marsch, die Leiter hoch, Bursche! Zack, zack!«
    Ich eilte die Sprossen der Leiter empor. Nachdem ich sicheren Boden erreicht hatte, zog Kreuzbeißer die Stiege, die in den Akazienhain führte, zu sich hinauf auf die Mauerkrone. »Und wehe, du lieferst uns ans Messer«, rief er herab. »Dann kommen wir auf ein Tässchen Tränen vorbei und lehren dich Mores!« Er grinste zum Abschied sein charmantes Haifischlächeln, dann war er verschwunden.
     
    Nachdem ich ein paar Minuten lang kühle Luft geatmet und meine flatternden Nerven beruhigt hatte, folgte ich der Mauer zu meiner Linken, bis ich wieder vor dem Turm stand. Ich war zeit meines Lebens beileibe kein Hasenfuß oder Duckmäuser gewesen, dem es an Entschlossenheit oder Selbstvertrauen gemangelt hätte, doch was mir in den letzten Tagen widerfahren war, hatte die Zumutbarkeitsgrenze weit überschritten. Für einen Traum war diese Welt zu real, für die Realität zu absurd, und für eine bösartige Scharade zu abscheulich. Falls ich mich noch einen Tag länger in dieser Albtraumstadt aufhielt und die irrwitzigen Ereignisse sich fortsetzten, konnte man mich entweder in eine geschlossene Anstalt einweisen, oder ich erlitt frühzeitig einen Herzinfarkt.
    Transsilvanisches Disney-Land … Ich musste lachen. Es war ein bitteres, freudloses Lachen.
    Bei meiner Erkundung entlang der Mauer war ich weder auf Durchlässe noch auf Nischen gestoßen, was meine Vermutung bestätigte, in diesem Areal gefangen zu sein. Als ich am Fuß des Turmes anlangte, entdeckte ich eine geschlossene Tür, die ich anfangs übersehen hatte, weil sie hinter einem Strauch verborgen war. Sie war nicht besonders groß, selbst der

Weitere Kostenlose Bücher