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Mortlock

Mortlock

Titel: Mortlock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Mayhew
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darum reißen. Einbalsamieren nennt man das.«
    »Und so was machst du?« Zögernd sah sie wieder zu dem Jungen.
    »Leider nicht«, sagte Alfie geknickt. »Wiggins lässt mich nicht an die Chemikalien. Ich bin ein Begräbniswärter.«
    »Ein was?«
    »Ein Begräbniswärter. Ich gehe mit Trauermiene hinter dem Sarg her, als ob ich’s ganz schrecklich fände, dass der Tote den Abgang gemacht hat.«
    »Und das ist alles?«, fragte Josie. Das klang doch lächerlich. Hatte er etwa nichts anderes zu tun, als hinter einem Sarg her zu gehen?
    »Das ist eine wichtige Aufgabe«, verteidigte sich Alfie. »Außerdem helfe ich auch, Sachen zu tragen und so. Bei einer Beerdigung gibt’s eine Menge zu erledigen.«
    »Klingt langweilig«, brummte Josie.
    Mit einem hinterhältigen Grinsen beugte Alfie sich vor und drückte seine Ellbogen in den Bauch der Leiche. Der Brustkorb der Toten hob sich, und der Kopf sank mit einem leisen Stöhnen in den Nacken. Entsetzt schrie Josie auf und sprang zurück. Ihr Herz raste. Alfie lachte schallend.
    »Jetzt ist dir nicht mehr langweilig, oder?«, spottete er undnahm die Arme weg, sodass der Leichnam wieder ruhig dalag. »Keine Angst. Das waren nur ein paar Gase, die der alten Dame quersaßen. Könnte schlimmer sein.«
    »Das ist ja widerlich! Wie kannst
du
mein Bruder sein? Ich hasse dich!«
    »Also, ich habe auch nicht gerade vor Freude in die Hände geklatscht, als der alte Wiggins mir von dir erzählt hat«, giftete Alfie zurück. »Ist schon schlimm genug, ein Waisenjunge zu sein und seine Eltern nicht zu kennen, aber dann noch eine blöde Schwester am Hals zu haben, na, vielen Dank.«
    »Blöd?«, fauchte Josie und schnappte sich eine kleine, leere Flasche, die auf dem Tisch stand. »Wer ist hier blöd?« Sie holte aus und warf die Flasche durch den Raum. Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Sie sah, wie sich ein Lichtschein in dem blauen Glas fing. Alfie duckte sich, doch es war zu spät. Mit einem hohlen
Klonk
traf die Flasche ihn an der Stirn und zerschellte dann auf den Fliesen. Stöhnend sank er hinter dem Tisch zu Boden.
    Josie machte auf dem Absatz kehrt und stapfte hinaus, so wütend, dass sie beinahe den Vorhang heruntergerissen hätte.
    »Es ist mir egal, wenn er tot ist. Ich will jetzt nach Hause«, fuhr sie Wiggins und Gimlet an, die sie mit offenem Mund anstarrten. »Er
kann
nicht mein Bruder sein. Dazu ist er viel zu grässlich!«





Ihr Sarg ward gebracht und, wie sich’s gebührt,
    Die Ermordete fort zum Friedhof geführt.
    Nicht Vater, nicht Mutter, nicht Freund, heißt es, kam,
    Als die Ärmste ward unter die Erde getan.
    Die arme Ermordete
(The Poor Murdered Woman),

altes Volkslied

8. KAPITEL

Der Schatten am Fenster
    Gimlet schien sich über Josies Ausbruch zu amüsieren, was sie nur noch wütender machte. Aufgebracht stapfte sie durch seine Werkstatt, versetzte den Holzstücken auf dem Boden einen Tritt und schlug mit den Fäusten so fest auf die Armlehne des Sofas, dass Staubwolken aufflogen.
    »Er war einfach widerlich, Gimlet!«, rief sie. »Wie sollte so ein kleiner Krötenjunge uns dabei helfen, die Amarant zu finden?«
    »Wie ich sehe, benehmt ihr euch schon wie Bruder und Schwester«, sagte Gimlet lächelnd. »Sei nicht zu streng mit ihm, Josie. Sein Leben ist nicht gerade einfach. Wiggins ist ein netter Kerl, aber nicht sehr gut, was Disziplin angeht, und Alfie ist in einem berüchtigten Viertel aufgewachsen.«
    »Zu streng?« Josie starrte ihn an und ballte die Fäuste. »Erst hat er mit einer toten Kröte nach mir geworfen, und dann hat er mich mit der Leiche einer alten Frau halb zu Tode erschreckt! Und da sagst du, ich soll nicht zu streng mit ihm sein?«
    Gerade als Gimlet darauf antworten wollte, ertönte nebenan das gedämpfte Klingeln der Werkstatttür. Er warf Josie einen Blick zu, legte den Finger auf die Lippen und schlich leise zur Tür.
    »Zwei alte Schachteln«, flüsterte er, nachdem er durch den Schlitz gespäht hatte. »Sieht aus, als wären es deine alten Tanten. Hast du nicht gesagt, es wären drei?«
    Josie nickte. Ihr Zorn verebbte, und sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
    »Versteck dich lieber. Hock dich da unters Fenster. Falls die Dritte draußen herumschnüffelt, kann sie dich nicht sehen.« Gimlet ging hinüber in die Werkstatt und zog die Tür hinter sich zu.
    »Kann ich Ihnen helfen, meine Damen?«, hörte Josie ihn fragen. Er klang freundlich und entspannt,

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