Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
Vom Netzwerk:
sein Lächeln erleichtert, aber auch irgendwie enttäuscht. Sie gab
ihm die Jacke, und er nahm ein Buch aus der Innentasche.
    »>Die
letzten Tage von Paris, das Tagebuch eines Journalisten<«, las sie laut und
drehte es um. »Danke ... Tom.«
    Seinen
Namen auszusprechen ließ sie erschaudern. Sie war inzwischen fünfzehn und
vielleicht nicht ausgesprochen hübsch, aber auch kein flachbrüstiges Kind mehr.
Es konnte doch sein, dass ein Mann sich in sie verliebte?
    Sie spürte
seinen Atem an ihrem Hals, als er sich vorbeugte und auf den Umschlag tippte.
    »Alexander
Werth hat dieses Tagebuch geschrieben, als Paris fiel. Ich schenke es dir, weil
es beweist, wie wichtig es ist, dass Menschen aufschreiben, was sie sehen. Vor
allem in Zeiten wie den unseren. Sonst erfährt die Welt nicht, was wirklich
passiert, verstehst du das, Meredith?«
    »Ja.« Als
sie ihn von der Seite ansah, lag eine solche Intensität in seinem Blick, dass
ihr beinahe das Herz stehen blieb. Es dauerte nur Sekunden, aber für Meredith
schien dieser Moment eine Ewigkeit zu dauern. Es war, als würde sie einer
Fremden zusehen, als sie sich mit angehaltenem Atem und geschlossenen Augen
vorbeugte und in einem Augenblick absoluter Vollkommenheit ihre Lippen auf
seine drückte ...
    Tom war
sehr liebenswürdig. Er sprach freundlich mit ihr, als er ihre Hände von seinen
Schultern nahm, sie kurz drückte, eine unmissverständlich freundschaftliche
Geste, und sagte, sie brauche sich nicht zu schämen.
    Aber
Meredith schämte sich zu Tode, sie wäre am liebsten im Erdboden versunken. Oder
hätte sich in Luft aufgelöst. Alles, nur nicht mehr neben ihm sitzen im grellen
Licht ihres entsetzlichen Fehlers. Sie war so zerknirscht, dass sie, als Tom
sie nach Junipers Schwestern fragte - wie sie waren, welche Vorlieben sie
hatten, ob sie bestimmte Blumen bevorzugten -, ganz mechanisch antwortete. Und
nicht auf die Idee kam, ihn zu fragen, warum ihn das eigentlich interessierte.
     
    Am Tag,
als Juniper London verließ, traf sie sich mit Meredith am Bahnhof Charing
Cross. Sie war froh über die Gesellschaft, nicht nur, weil Merry ihr fehlen
würde, sondern auch, weil sie sie von Tom ablenkte. Er war am Tag zuvor
aufgebrochen, um sich wieder seinem Regiment anzuschließen - zuerst nur zur
Ausbildung, bevor er wieder an die Front geschickt würde -, und die Wohnung,
die Straße, die Stadt London, all das war ohne ihn unerträglich. Deshalb hatte
Juniper beschlossen, einen frühen Zug zu nehmen. Aber sie würde nicht zum
Schloss zurückfahren, noch nicht: Das Abendessen war erst für Mittwoch geplant,
und da sie noch etwas Geld besaß, hatte sie sich entschlossen, die kommenden
drei Tage zu nutzen, um einige der verwaschenen Landschaftsbilder zu erkunden,
die sie auf der Fahrt nach London durch das Zugfenster gesehen hatte.
    Eine
vertraute Gestalt tauchte in der überfüllten Wartehalle auf und lächelte breit,
als sie Junipers aufgeregtes Winken bemerkte. Meredith schob sich durch die
Menge zu Juniper, die wie verabredet unter der Bahnhofsuhr auf sie wartete.
    »Und«,
fragte Juniper, nachdem sie sich umarmt hatten, »wo ist es?«
    Meredith
legte Daumen und Zeigefinger gegeneinander und verzog das Gesicht. »Nur noch
ein paar klitzekleine Korrekturen.«
    »Heißt
das, ich kann es nicht im Zug lesen?«
    »Nur noch
ein paar allerletzte Korrekturen, ehrlich.«
    Juniper
trat zur Seite, um einem Kofferträger Platz zu machen, der einen Haufen Gepäck
vor sich her schob. »Also gut«, sagte sie. »Noch ein paar Tage. Aber länger
nicht!« Sie wedelte in gespielter Strenge mit dem Finger. »Ich erwarte es dann
bis zum Wochenende in der Post. Einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    Sie
lächelten sich an, als der Zug ein schrilles Pfeifen ertönen ließ. Die meisten
Fahrgäste waren schon eingestiegen. »Tja«, sagte Juniper, »ich glaube, ich muss
jetzt ...«
    Der Rest
ihres Satzes wurde in Merediths Umarmung erstickt. »Du wirst mir fehlen,
Juniper. Versprich mir, dass du wieder zurückkommst.«
    »Natürlich
komme ich zurück.«
    »In
spätestens einem Monat?«
    Juniper
strich ihrer jungen Freundin eine Wimper von der Wange. »Wenns länger dauern
sollte, musst du vom Schlimmsten ausgehen und ein Rettungskommando schicken!«

Meredith
grinste. »Und du gibst mir Bescheid, sobald du meine Geschichte gelesen hast?«
    »Postwendend
noch am selben Tag«, sagte Juniper und salutierte. »Pass auf dich auf, kleines
Huhn.«
    »Du auch.«
    »Wie
immer.« Juniper wurde wieder ernst,

Weitere Kostenlose Bücher